„Mit einer geordneten Partnerschaft hat das nichts mehr gemein.“ So kommentiert Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker beim EU-Gipfel Merkels „Handygate“. In dieser Nacht gedeiht außerdem das erste Pflänzlein europäischer Gegenwehr: eine Erklärung.

Brüssel - Kurz nach ein Uhr am Freitagmorgen betritt die deutsche Kanzlerin den Saal 20.4 im Brüsseler Ratsgebäude. Zuvor hat ein Mitarbeiter des Bundespresseamtes wie üblich darauf hingewiesen, die Mobiltelefone während der Pressekonferenz auszuschalten oder zumindest leise zu stellen. Der britische Kollege des „Economist“ scherzt für alle hörbar: „Sie wissen aber, dass das nichts bringt?“

 

Was wirklich gegen das Abhören von Handys helfen soll, will die deutsche Regierungschefin nun berichten. Sie hat eine lange Diskussion mit Europas Staatenlenkern hinter sich, die am Morgen gar nicht auf der Tagesordnung stand. Sie hat berichtet, was sie über die Abhöraktionen wissen. „Die Kollegen waren alle entsetzt über das, was passiert ist“, sagt Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker später: „Mit einer geordneten Partnerschaft hat das nichts mehr gemein.“ So gedeiht in dieser Nacht das erste zarte Pflänzlein europäischer Gegenwehr: eine Erklärung.

Eine Grenze überschritten

Merkel wirkt gelöst, als sie sich erstmals ausführlicher zu den Vorgängen rund um ihr Handy äußert. Und doch wird klar, dass sie in Sachen NSA eine Grenze überschritten sieht. Es bleibt nicht bei der puren Sachlichkeit, die zum Markenzeichen Merkels geworden sind. Ihr Kopf nimmt nicht die rote Farbe ihres Blazers an, doch für ihre Verhältnisse lässt sich fast von einem Wutausbruch reden: Die Transatlantikpartnerschaft sei „keine Einbahnstraße“, schließlich würden auch „die Amerikaner Freunde brauchen auf der Welt“. Und die Beziehung, sagt Merkel, ohne ob ihrer Enttäuschung die Stimme zu heben, sei nun großen „Erschütterungen“ ausgesetzt. In einer Mischung aus Nüchternheit und Pathos setzt sie hinzu: Wer zusammen Soldaten nach Afghanistan schicke, „die manchmal auch in den gleichen Gefechten sterben“, und Werte teile, der wolle wissen, „dass man nicht Gegenstand von bestimmten Überwachungen ist wie andere, die nichts Gutes mit diesem Wertesystem im Sinn haben.“ Auf einer Stufe mit den Taliban also fühlt sie sich. Das schmerzt.

Im Nebenzimmer redet der Mann, mit dem sie die Reaktion der Europäer abgestimmt hat. François Hollande, der daheim in Frankreich eben hat lesen müssen, dass 70,3 Millionen Telefonate abgehört wurden, ist so froh über dieses seltene gemeinsame deutsch-französische Anliegen, dass er ständig die „gute Zusammenarbeit mit Frau Merkel“ betont. Gemeinsam hat man zu Beginn des Abendessens den Kollegen die Vorschläge unterbreitet.

Eine nach den ersten Enthüllungen des ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden eingerichtete Arbeitsgruppe soll „reaktiviert“ werden, wie Hollande sagt. Den bisherigen Erkenntnisgewinn bezeichnet die EU-Kommission nämlich als „unzureichend“. Der französische Staatschef formuliert die Erwartungen klar: „Wir wollen von den Amerikanern das haben, was die Presse bereits hat.“ Bis Jahresende wollen Deutschland und Frankreich mit den USA Regeln der künftigen Geheimdienstarbeit festlegen. Die anderen EU-Staaten können sich dann den Abkommen anschließen. Es gehe um „minimale Umgangsformen“, sagt Jean-Claude Juncker. „Wenn wieder nichts passiert, treffen wir weitere Entscheidungen“, droht Hollande, „aber da sind wir noch nicht.“

Die CDU kommt für die Gebühren auf

Merkel etwa hat „Verständnis“ für die Forderung, das Swift-Abkommen über den Austausch von Kontodaten zur Terrorabwehr auszusetzen. Davon, die Freihandelsgespräche mit den USA auf Eis zu legen, hält sie aber nichts. „Wer rausgeht, muss auch wissen, wie er wieder reinkommt.“ Diese Bedenken sind teils dem Briten David Cameron geschuldet, dessen Geheimdienst die Partner genauso bespitzelt. Ihm ist zu verdanken, dass die Wortwahl abgeschwächt und die umkämpfte EU-Datenschutzreform nicht beschleunigt, sondern auf 2015 vertagt wird. Ein ernsthafter Kampf für Privatsphäre ist das nicht.

Dann gewährt Angela Merkel noch ein wenig Einblick in ihr Kommunikationsverhalten. Sie besitzt ein Handy, für dessen Gebühren voll die CDU aufkommt. Soll bloß keiner denken, sie kümmere sich auf Steuerzahlerkosten um Parteidinge, die sich oft gar nicht genau vom Regierungsgeschäft trennen lassen. „Für alle staatspolitisch relevanten Kommunikationen gibt es Festnetzleitungen, Kryptoleitungen und – wenn man nicht am Ort ist – auch Kryptohandys“, doziert sie. Und fügt hinzu, dass ihr CDU-Mobiltelefon wohl etwas „weniger Krypto“ sei. Ihr Telefonverhalten will sie nicht verändert haben. Das sei nämlich sehr „konsistent“. Fragende Gesichter, die Kanzlerin übersetzt: „Jeder, der mit mir redet, hört im Grundsatz immer das Gleiche.“ Motto: Lieber anrufen statt abhören.