Den USA fällt es immer schwerer zu erklären, weshalb sie ihre Verbündeten ausspionieren. Keine Antwort gibt es darauf, ob das Telefon von Angela Merkel gezielt angezapft worden ist.

Washington - Es hatte etwas von einem Deja-vu, als sich Barack Obama bei Angela Merkel entschuldigen musste und sein Sprecher Jay Carney eine schriftliche Erklärung herausgab, die so etwas wie routinierte Zerknirschung verriet. Drei kurze Absätze, pflichtgemäße Wertschätzungen enger Kooperation, und im zweiten Satz eine verbale Beruhigungspille, ziemlich hölzern formuliert. „Der Präsident versicherte der Kanzlerin, dass die USA die Kommunikation von Kanzlerin Merkel weder überwachen noch überwachen werden.“

 

Auf solche Standardformeln hatte Carney bereits 48 Stunden zuvor ausweichen müssen, nachdem sich Francois Hollande über das massenhafte Ausspähen französischer Bürger durch die National Security Agency beschwerte. Davor waren es Mexiko und Brasilien, die lautstark protestierten, nachdem bekannt geworden war, dass die NSA die Staatschefs beider Länder belauschte. Und jedes Mal gelobt das Weiße Haus, das Handeln der Geheimdienste genauer unter die Lupe zu nehmen und die richtige Balance zwischen Sicherheit und Respekt vor der Privatsphäre zu finden. Bisher klang es nicht so, als nähme man sie wirklich erst, die Aufregung des Auslands. Seit Edward Snowden die Lawine im Juni ins Rollen brachte, schmettern Regierungsbeamte, wenn sie denn Tacheles reden, die Klagen von Freunden und Verbündeten mit der lakonischen Feststellung ab, dass doch jeder jeden ausspioniere. Alliierte wie Deutschland oder Frankreich seien nur nicht gezwungen, über die Aktivitäten ihrer eigenen Schlapphüte zu reden, heißt es dann meist. Diesmal ist es anders, die Affäre um Merkels Handy ist zu peinlich, um automatisch in den gewohnt saloppen Ton zu verfallen.

Zufall oder gezielte Attacke?

Keine Antwort gibt es auf die Frage, ob das Mobiltelefon der Kanzlerin eher zufällig ins Schleppnetz der Datenfischer geriet oder gezielt angezapft wurde. James Lewis, früher beschäftigt im State Department, heute Technologie-Experte am Center for Strategic and International Studies, hält Letzteres durchaus für möglich. Die NSA, sagt er dem „Wall Street Journal“, könnte die CDU-Politikerin vorsätzlich ins Visier genommen haben, etwa, um vor wichtigen Konferenzen herauszufinden, wie man im deutschen Kabinett in Wahrheit über knifflige Themen denke. Über Sanktionen im Atomstreit mit dem Iran, das Verhältnis zu Russland, die Euro-Turbulenzen. „Werden die Deutschen aufhören, Rettungspakete für die Griechen zu schnüren?“

Offen bleibt auch, was Obama von alledem wusste, ob die politische Machtzentrale die Geheimen an der langen Leine gewähren ließ oder aber gezielt Abhöraufträge verteilte. Personelle Änderungen sind bereits avisiert, was allein schon auf eine Offensive der Schadensbegrenzung schließen lässt. Keith Alexander, der General an der Spitze der NSA, plant spätestens im April seinen Hut zu nehmen, während Chris Inglis, sein Stellvertreter in Zivil, bereits im Dezember ausscheiden soll. Sind es Korrekturen in der Chefetage einer Behörde, die sich verselbstständigt hat? Hat sich Alexander eine Macht angemaßt, die an J. Edgar Hoover denken lässt, den mächtigen FBI-Direktor, der Politiker erpressen konnte, weil er alles über sie wusste? Oder ist er nur der Sündenbock? Alles Spekulationen, nichts, was Obamas Riege auch nur kommentieren würde.

Die Stimmungslage hat sich gedreht

In den Medien jedenfalls hat sich die Stimmungslage gedreht, abzulesen an einem Kommentar der „Washington Post“, der schon deshalb Aufsehen erregte, weil ein Journalist freimütig einen Irrtum eingestand. Richard Cohen, altgedienter Kolumnist der Zeitung, hatte Snowden, als der aus dem Nähkästchen zu plaudern begann, noch als „lächerlich filmreif“ und „selbstverliebt“ charakterisiert. „Meine Einschätzung war grundfalsch“, gibt er nun zu. Zu Beginn habe er geglaubt, nichts von dem, was Snowden enthülle, sei wirklich neu, zumal mancher Kongressabgeordnete schon das eine oder andere Detail durchgestochen hatte. „Aber mir steht der Mund offen angesichts der schieren Dimension all dieser Datensammelprogramme, die mich schlussfolgern lässt, dass die NSA auch diese Kolumne liest, bevor meine Redakteure sie kennen“, schreibt Cohen. Den Whistleblower vergleicht er nun mit John Brown, dem Sklavenbefreier der Ära Lincolns, der „das Inhumane der Sklaverei so intensiv spürte, dass er gegen das Gesetz verstieß, um die Praxis zu beenden“.