Der US-Geheimdienst soll ein Handy der Kanzlerin abgehört haben. Das bringt nicht nur Präsident Obama in Schwierigkeiten. Auch Merkel muss sich fragen lassen, ob sie noch im Sommer das Ausmaß des NSA-Skandals unterschätzt hat.

Berlin - Der Code der diplomatischen Sprache und Gesten ist leichter zu knacken als das Handy der Kanzlerin. Und so kann man sich leicht begreiflich machen, was es heißt, wenn Außenminister Guido Westerwelle (FDP) den US-amerikanischen Botschafter einbestellt. Es ist dies eines der schärfsten Mittel der Missbilligung, üblicherweise den diplomatischen Vertretern von Schurkenstaaten der Nordkorea-Klasse vorbehalten. So hatte Westerwelle Ende 2010 beispielsweise den weißrussischen Statthalter in Berlin antreten lassen, weil Präsident Alexander Lukaschenko damals erst die Wahlen manipulieren und dann mal eben 600 Regimegegner festnehmen ließ.

 

Jetzt also musste US-Botschafter John B. Emerson vorstellig werden, weil dem Bundeskanzleramt erdrückende Indizien vorliegen, dass der US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) eines der Mobiltelefone von Kanzlerin Angela Merkel abgehört hat. Auch wenn regierungsamtlich öffentlich immer noch ein kleines Fragezeichen gesetzt wird, so darf man doch davon ausgehen, dass Merkels Sicherheitsexperten den Nachweis der US-Schnüffelei führen können. Denn sonst hätte Merkel nicht in einer Art und Weise harsch reagiert, wie es im Verhältnis zu den USA einmalig ist.

Abwiegeln im gut gelaunten Plauderton

Aber nicht nur US-Präsident Barack Obama, den Merkel am Mittwochabend empört anrief, muss sich unangenehme Fragen gefallen lassen, auch für sie selbst ist die Lage brisant. Denn als die NSA-Affäre im Sommer bekannt wurde und unter Berufung auf den Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden Berichte über das millionenfache Absaugen der Telekommunikationsdaten deutscher Bürger die Runde machten, wiegelte die Kanzlerin ab.

Als im ARD-„Sommerinterview“ Moderator Ulrich Deppendorf sie im Juli mit dem Satz begrüßte, sie sei „die Frau, die hofft, das zumindest ihr Handy abhörsicher ist“, da lachte sie noch, weil ihr offenbar nichts abwegiger schien als die Vorstellung, die US-Amerikaner zapften ihr Mobiltelefon an. Kurz danach sagte sie im belustigten Plauderton: „Mir selber ist nichts bekannt, wo ich abgehört wurde, sonst hätte ich’s dem PKG schon gesagt.“ Gestern nun tagte das von ihr benannte Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags, das sich mit Geheimdiensten beschäftigt, tatsächlich in dieser Angelegenheit. Was Merkel damals noch als Absurdität abtat, ist nun offenbar Realität. Freunde belauschen Freunde.

Demonstrative Ahnungslosigkeit

Untypisch für Merkel war im Sommer auch die demonstrativ zur Schau gestellte Ahnungslosigkeit der Regierungschefin. Bei ihrer alljährlichen Sommerpressekonferenz sagte sie, es sei „nicht ihre Aufgabe“, sich in die Details der Abhöraffäre einzuarbeiten. Die damals bereits beschriebene Vermutung, auch EU-Einrichtungen könnten von der NSA abgehört worden sein, veranlasste sie immerhin zu einer für ihre Verhältnisse glasklaren Botschaft: „Das fällt in die Kategorie dessen, dass man das unter Freunden nicht macht. Das geht nicht.“ Ansonsten verwandte sie viel Zeit darauf, um Verständnis für etwaige US-amerikanische Überempfindlichkeiten in Sicherheitsfragen zu werben. Die Anschläge des 11. September 2001 müssten „hierbei immer bedacht bleiben“, sagte Merkel. Wohl auch deshalb trifft sie diese Staatsaffäre tatsächlich bis ins Mark: Sie war es, die sich im Reigen der Regierungschefs besonders weit aus dem Fenster lehnte, wenn es darum ging, die USA zu verteidigen. Jetzt muss sie fürchten, als naives Mädchen zu gelten. Keine komfortable Position kurz vor dem Beginn ihrer dritten Amtszeit.

Merkel schickte Pofalla vor

Um sich abzusichern, hatte Merkel im Sommer ihren Kanzleramtsminister Ronald Pofalla vorgeschickt. Schließlich sei der für die Geheimdienste zuständig, sagte sie. Pofalla trieb Merkels Strategie auf die Spitze. In einem Statement erklärte er nach einer Sitzung des PKG die NSA-Affäre am 12. August kurzerhand für beendet. „Die Vorwürfe sind vom Tisch“, sagte Pofalla: „Die NSA und der britische Geheimdienst haben erklärt, dass sie sich in Deutschland an deutsches Recht halten.“ Der Datenschutz sei „zu einhundert Prozent eingehalten worden“, erklärte Pofalla. Auch Merkel sagte: „Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Fragen, die aufgeworfen sind, geklärt sind.“

Es wird ihr deshalb recht sein, dass mit der SPD ein möglicher Hauptaggressor soeben dabei ist, mit ihr eine Regierung zu basteln. Die Genossen sehen sich deshalb genötigt, Merkel, insbesondere aber Pofalla, der die Koalitionsverhandlungen koordinieren soll, zu schonen. Zwar stellte der Vorsitzende des Kontrollgremiums, Thomas Oppermann (SPD), klar, dass dieses Thema auch in den Koalitionsverhandlungen eine wichtige Rolle spielen werde, Pofalla, den er vor der Bundestagswahl noch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Rücktritt aufgefordert hätte, erwähnte er aber nicht.

Die SPD sieht sich zur Solidarität gedrängt

Stattdessen schwang sich Oppermann zum Anwalt der Bürger auf. „Das Mobiltelefon der Kanzlerin ist wichtig“, aber die Daten der deutschen Bürger „sind es auch“, sagte Oppermann, der für die SPD die innere Sicherheit aushandeln soll. Die US-Dienste hätten jedes Vertrauen verspielt: „Wer die Mobiltelefone der Bundeskanzlerin abhört, der hört im Zweifel auch die Telefone der Bürgerinnen und Bürger ab.“ Man werde nun fragen, ob schon die Telefonate von Ex-Kanzler Gerhard Schröder etwa zur Zeit des Irakkriegs abgehört worden seien.

Die Grünen sind weniger behutsam. Es sei „empörend“, dass Merkel erst jetzt, da sie selbst betroffen sei, angemessen reagiere, sagte Hans-Christian Ströbele. Der grüne Fraktionschef Anton Hofreiter konfrontierte Merkel mit der unangenehmen Frage, wann sie von den US-Spähattacken auf ihr Handy erfahren habe – ob schon vor der Wahl oder tatsächlich erst danach. Angeblich wurde sie erst durch eine Anfrage des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ alarmiert, die vom Bundesamt für Informationssicherheit und dem Bundesnachrichtendienst geprüft worden sei. Berichten zufolge soll die Handynummer ihres alten Nokia-Handys in den Snowden-Papieren aufgeführt sein.