Es war ein schöner Tag, Anfang der Achtziger im Kunstklassenraum eines Stuttgarter Gymnasiums. Den Schultischen verliehen die Farbspritzer aus vergangene Dekaden ein freundliches Antlitz, das Waschbecken thronte wie ein Hausaltar an der gewohnten Stelle, die Sonne blinzelte durch die schmutzigen Scheiben und verlieh sogar dem stumpfgrauen Diaprojektor ein wenig Glanz. Draußen zwitscherten die Vögel, die Bäume blühten, Menschen gingen zur Arbeit, liebten sich oder putzten ihren Opel Ascona.

 
Drinnen allerdings spielte sich ein kleines Drama ab. Ich hatte soeben die Aufgabe in der Abiturprüfung Bildende Kunst eröffnet und stierte auf den Text, der ungefähr so, vielleicht aber auch ganz anders lautete und mir nur noch fragmentarisch in Erinnerung ist: „Entwickeln sie flächige Strukturen aus Form, Duktus und Materialität“ . . . „Stellen Sei einen schlüssigen Rückbezug zum Kunstbegriff der Moderne her“ . . . „Formen Sie eigenständige Bildlösungen unter Einschluss von Alternativen“. Kurz: Ich hatte keine Ahnung, wovon die Rede war. Zur Abiprüfung kam ich gut vorbereitet. Ich kannte die Kunstgeschichte, wusste um die Techniken von Max Ernst oder Dürer und war auch in der Lage, die großen Künstler und Bildhauer in ihren ideengeschichtlichen Kontext einzuordnen. Dann das. Ein leeres Papier. Leer und weiß.

Was in den folgenden drei Stunden geschah, weiß ich nicht mehr genau. Nur, dass die erste „flächige Struktur“ auf meinem entsetzlich leeren Papier ein Tropfen Angstschweiß war. Der floss auf wundersame Weise in irgendwelche gezeichneten Visionen mit ein, die von der Jury später milde begutachtet wurden. Seitdem weiß ich: Panik ist eine Kreativitätsmaschine. Doch in den Jahren danach war ich nicht mehr oft in Museen.