Es ist chic, mit einem unübersehbaren Augenzwinkern die eigenen mangelhaften Mathe-Kenntnisse zu thematisieren – besonders, wenn die armen Schüler wieder Mathe-Abi schreiben. Rainer Klüting wagt sich an die Verteidigung eines ehrenwerten Fachs.

Stuttgart - Solange ich denken kann, begegnen mir Leute, die sind stolz auf Goethe. Oder Debussy. Oder Monet. Sie sind stolz, dass sie von denen was gelesen, gehört oder gesehen haben. Oder es zumindest mal wollten. Aber über Gauß? Okay, mancher hat Daniel Kehlmanns „Vermessung der Welt“ gelesen. Da kommt so ein skurriler Mathematiker drin vor, der heißt Gauß. Aber Kehlmann, das ist Literatur. Nicht Mathe. Denn Mathe, da sind viele Leute stolz drauf, Mathe ist nicht ihr Ding. Nie gewesen, nicht mal im Abi (wie wir an dieser Stelle berichtet haben). Und wenn ich dann bekenne, dass ich das anders sehe, dann schauen sie mich mit diesen typischen geweiteten Augen an, mit denen man Leute anschaut, die man entschieden zu schräg findet.

 
Es gibt einen britischen Verlag, der gibt Sudoku-Hefte raus. Nach vorläufiger Schätzung des deutschen Vertriebs sind es etwa 40 verschiedene Hefte, jedes mit einer Auflage von irgendwo bei 5000 Exemplaren. Macht 200 000 Hefte. Weitere Verlage füllen die Kioskregale. In Deutschland leben mindestens 200 000 mathebegeisterte Kioskkunden. Denn Sudoku ist Mathe. Mathe ist Logik, ist das Spiel mit der Logik, und wer mal versuchsweise die Nase aus seinen traumatischen Schulerinnerungen hebt, kann allein durch Sudoku entdecken, dass Mathe Spaß machen kann.
 

Es ist nie zu spät

Also gut, Sie machen kein Sudoku. Nie. Ist nicht Ihr Ding, und das finden Sie gut so. Kultur, finden Sie, geht anders. Wissen Sie, das ist wie mit der Musik: mancher kann nicht singen, meint er. Oder meint sie. In Berlin (und seit Kurzem auch in Stuttgart) gibt es einen Chor, der heißt „Ich-kann-nicht-singen-Chor“. Der Andrang ist enorm. Die Leute sind begeistert. Mancher braucht eben nur mal für einen Abend ein wenig Nachhilfe. Es ist nie zu spät.

Christian Hesse, Mathematiker an der Universität Stuttgart, hat ein Buch geschrieben: „Warum Mathematik glücklich macht“. Nur so nebenbei erwähnt. Aber Sie können von mir aus gerne weiter ins Theater oder in Ausstellungen gehen. Kein Problem. Mache ich auch.