Vorige Woche vereitelte ein geöffneter Umschlag den Prüfungsablauf der Realschulen, jetzt protestieren Tausende Abiturienten gegen die Englischprüfung.

Stuttgart - „Englisch Abitur 2018 Baden-Württemberg unfair!“, so lautet der Titel der Petition, die kurz nach dem Prüfungstermin am vergangenen Freitag im Internet gestartet worden war. Im Lauf des Sonntags stieg die Zahl der Unterzeichner mit jeder Sekunde auf mehr als 25.000 (Stand: Sonntag, 19 Uhr). Die Kritik der Schüler richtet sich gegen die Textform sowie gegen die Aufgabenstellung.

 

Pflichtkanon war für die rund 33 000 Abiturienten an allgemein bildenden Gymnasien im Land unter anderem der Roman „Half Broke Horses“ von Jeanette Walls; Themenschwerpunkt waren Herausforderungen und Entscheidungen mit dem Fokus auf den USA. Zur Prüfung sei den Schülerinnen und Schülern jedoch ein Text vorgelegt worden, „der sehr schwierig war“, sagt eine 17-jährige Schülerin eines allgemeinbildenden Gymnasiums im Unterland, „so viele Worte musste ich noch nie nachschlagen“. Anders als in den Vorjahren habe man es nicht mit einem Sachtext zu tun gehabt, sondern „mit einem fiktionalen, metaphorischen Text, mit extrem vielen Adjektiven und wenig gängigen Vokabeln“ – einer poetischen Beschreibung der Freiheitsstatue.

In der Petition, die auch sie unterschrieben hat, wird eine Textstelle zitiert: „They were silent. And before them, rising on her high pedestal from the scaling swarmy brilliance of sunlit water to the west, Liberty. The spinning disk of the late afternoon sun slanted behind her, and to those on board who gazed, her features were charred with shadow, her depths exhausted, her masses ironed to one single plane.“ „Bitte unterstützt die Petition“, appelliert ein anderer Schüler in den sozialen Medien, „auch mein Eindruck war, dass die Abiturprüfung deutlich schwerer war!“

Landesschülerbeirat sieht auffällige Unterschiede

Die Petententen monieren auch, dass das Textverständnis „zum größten Teil auf die Interpretation von Gefühlen und Verhältnissen“ abgehoben habe und diesmal jeweils zwei Zitate als Belegstelle genannt werden mussten statt wie bisher nur eines, die erreichbare Punktezahl jedoch nicht erhöht worden sei. Bei einer weiteren Aufgabe, so die Kritik, sei der zu bearbeitende Abschnitt nicht klar benannt gewesen.

Wie die Deutsche Presseagentur meldete, habe eine Sprecherin des Kultusministeriums am Wochenende eine gründliche Prüfung der Petition zugesichert, äußern wolle man sich dazu allerdings erst später. Auf dem Twitter-Account des Kultusministeriums herrsche am Wochenende Grabesruhe. Der Landesschülerbeirat (LSBR) stützt den Protest der Abiturienten: Es sei auffällig, dass in den vergangenen Jahren bei der Prüfungsaufgabe stets Sachtexte vorgelegt worden seien, diesmal aber ein lyrischer Text, so der Vorsitzende Leandro Karst, man wolle nun die Korrekturen abwarten. Die Abiturienten fordern Susanne Eisenmann auf, „den Erwartungshorizont anzupassen und die genannten Aspekte bei der Bewertung zu berücksichtigen“.

Immer wieder Vorfälle in der Vergangenheit

Das Petitionsrecht in Baden-Württemberg sieht vor, dass sich jedermann, der sich durch Entscheidungen von Ämtern und Behörden benachteiligt fühlt, mit seiner Petition, also seinem Anliegen, an den Landtag wenden kann. „Als Anwalt der Bittenden bemüht sich der Petitionsausschuss des Landtags darum, den jeweiligen Sachverhalt aufzuklären und Lösungsvorschläge zu unterbreiten, die den Interessen der Beteiligten gerecht werden“, heißt es auf der Homepage des Landes.

In der Vergangenheit hatte es immer wieder Beschwerden über Abiturprüfungen gegeben, die aus Schülersicht zu schwer waren – etwa im Doppeljahrgang 2012 im Fach Mathematik. Zahlreiche Schüler hatten sich nach der Prüfung über die Aufgabenstellung beklagt und ihren Protest unserer Redaktion gegenüber kundgetan. Allerdings ohne Ergebnis. Die damalige Kultusminister Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) wies die Kritik zurück und argumentierte, solche Klagen gebe es immer wieder. Sie sah „keinen Grund einzuschreiten.“

Der Protest gegen die Abiprüfung in Englisch ist nicht der einzige Ärger im Reigen der laufenden Schulabschlussprüfungen. An einer Schule in Bad Urach (Kreis Reutlingen) sind vergangene Woche Prüfungsaufgaben bei der Realschulabschlussprüfung im Fach Deutsch in einem geöffneten Umschlag gefunden worden. Die Folgen sind gravierend. Für rund 40 000 Realschüler im Land müssen neue Aufgaben im Fach Deutsch gedruckt werden, das Examen ist auf den 27. April verlegt.