Die About Pop im Wizemann stellt mehr als nur diese eine Frage. Sie gibt aber auch Antworten. Und lässt Künstliche Intelligenz Musik machen.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Kann Stuttgart Pop? Eigentlich hat schon die About-Pop-Konferenz 2023 diese Frage mit einem eindeutigen Ja beantwortet. So ganz sicher kann man aber offenbar nicht sein. Entsprechend dankbar nimmt das Publikum bei der 2024er-Ausgabe im Wizemann gerne Paul Hecks Steilvorlagen zum Pop-Potenzial des schwäbischen Großstädtle auf. Stuttgarts Wikipedia-Eintrag sei „ein Witz“ und „jeder lacht, wenn ich mir wünsche, dass die New York Times über Stuttgart schreibt“, sagt der von New York nach Stuttgart gezogene Musikproduzent.

 

Dass sie das bereits getan hat, bekam Heck offenbar nicht mit. Macht aber nix. Das Publikum ist dankbar für die Frage, ob es genügend Livelocations in Stuttgart gibt (natürlich nicht) und überrascht mit dem durchaus anspruchsvollen Einwurf, es gebe zwar zig Technoclubs, aber viel zu wenig Drum’n’Bass-Partys. Schlecht müssen die verglichen mit etwa Berlin prekären Umstände nicht sein: Paul Lee und sein Publikum sind sich einig, dass Bands wie Die Nerven niemals entstehen könnten, wenn die Region Stuttgart perfekte popmusikalische Arbeitsbedingungen böten.

Punk mit Brezel

Die schönste Anekdote erzählt die Kunstakademie-Absolventin Mizi Lee, und zwar von ihrem Lehrer Schorsch Kamerun. Der sei auch deshalb so oft in Stuttgart, weil hier echter Punk gelebt werde. Bester Beweis sei der Spruch „Wir haben die beste Brezel“, einfach so behauptet von irgendeiner Bäckerei. Als Kamerun darüber einen Song geschrieben und der Bäckerei den bei einem Vor-Ort-Besuch habe vorspielen wollen, hieß es nur: „Ist das überhaupt erlaubt?“ Und: „Das wollen wir nicht.“

Um das Thema Künstliche Intelligenz (KI) kommt die Konferenz nicht herum. Aus gutem Grund, wie Volker Helzle berichtet, der als Professor an der Filmakademie Ludwigsburg forscht und entwickelt. Er zitiert Studien, nach denen fast alle Jobs in der Kreativindustrie durch KI entweder wegfallen oder sich verändern werden. „Generative KI greift stark in den kreativen Schaffensprozess ein“, sagt Helzle. Er bemerke bei seinen Studierenden eine starke KI-bedingte Verunsicherung.

Was ist guter Pop?

Dabei sollten die Jungen doch die neuen Möglichkeiten begeistert annehmen? Können sie auch, wie die Komponistin Eva Kuhn mit einem eindrucksvollen (und mühelos mithilfe der App Suno erzeugten) Beispiel eines KI-generierten Kunstlieds zeigt. Der Autor Tobi Müller ordnet das in seiner Keynote zu Pop und KI ein: Suno sei so etwas wie das ChatGPT für Popmusik. Vielversprechende Technologie oder Untergang der Musikindustrie? Es gebe beide Sichtweisen, sagt Müller und erinnert an die selbst von Branchenriesen wie Bertelsmann verschlafene Digitalisierung des Popmusikmarkts Ende der 1990er Jahre.

Generative KI ist nicht intelligent, sagt Müller. Auch er spielt mit Suno selbstkomponierte Songs vor, die wenig überraschend wenig originell sind – weil die KI ausschließlich mit schon Bekanntem gefüllt wird, „aber auch, weil Pop schon immer schemenhaft ist, warenförmig“. Guter Pop sei Avantgarde, KI produziere dagegen Mittelmaß. „Aber das ist leider auch das Meiste, was wir hören“, sagt Müller, „so funktionieren die Märkte“. Nur dass KI und die dahinterliegenden Daten einen wachsenden Teil ebendieser Märkte und der dort zu holenden Einnahmen anzapfen.

Am Samstag geht es weiter

Zum Glück gibt die Konferenz auch Anregungen, wie man damit umgehen kann. Sie diskutiert über Mentoring, Arbeitsbedingungen im Nachtleben, die von der Landesregierung gerade überarbeitete Popförderung zwischen Amateur- und Profimusik – und über Diversity, die bekanntlich keine Stärke von KI ist.

Weil Pop aber immer auch mit dem Ort verwoben ist, an dem er stattfindet, übernehmen am frühen Abend die Künstlerinnen und Künstler – auch sie gern aus Stuttgart. Atomic Lobster zum Beispiel auf dem Parkdeck, oder Levin goes lightly drinnen im Wizemann. Sie machen Musik, die sich keine KI ausdenken kann. Und die auch noch nicht als Hologramm-Avatarshow verfügbar ist.

„In New York will jeder der Letzte sein, der die Tür zumacht“, sagt Paul Heck. Bei der About Pop kommt zumindest im Konferenzteil jeder überall rein, und auch das Clubfestival am Samstag ist noch nicht ausverkauft. Zwischenfazit: Stuttgart kann auch 2024 Pop.