Die About Pop hat 2024 das Konzept Clubfestival wiederbelebt. In mehr als 20 Locations in der Region entstehen am Samstag fantastische Musikmomente. Und hier und da auch Frust.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Das mit den gnadenlos verschlossenen Türen vor langen Warteschlangen ist man in Stuttgart nicht so gewohnt, jedenfalls nicht bei Konzerten. Anderswo sind (über)volle Events selbst für die Schlangesteher der Beweis, dass man hier richtig ist. In Stuttgart wird die Warterei am Samstagabend beim Clubfestival der About Pop 2024 stellenweise zum Ärgernis. Und das hat mit dem Format selbst zu tun.

 

Das Popbüro und seine Partner haben sich für den zweiten Festivaltag nicht nur ein unfassbar dichtes, vielfältiges und vor allem umfangreiches Programm vorgenommen. Sie haben auch das Prinzip Clubfestival wiederbelebt. Zuletzt gab es das in Stuttgart vor zehn Jahren mit der „Popnotpop“, die Konzertfreunde im Bermudadreieck zwischen Zwölfzehn, Schocken und Keller Klub auf Entdeckungsreise schickte.

Damals waren die Wege kürzer als am regnerischen Maiabend 2024. Das hat nachvollziehbare Gründe, die mit dem bereits beim About-Pop-Freitag thematisierten Verschwinden zahlreicher Spielstätten zusammenhängen und den Entfernungen, die sich in Stuttgart oft länger anfühlen als sie eigentlich sind. Am Samstag ist der via Festivalapp in einzelnen Fällen zu spät vermeldete „Einlassstopp“ nicht nur Ausweis des ohnehin über jede Kritik erhabenen Festivalprogramms – sondern eben auch ernüchternd für jene, die beim einen Konzert etwas zu lange hängengeblieben und dann fürs nächste an anderer Stelle zu spät angereist sind. Etwa bei gehypten Bands wie The KVB im Merlin oder Die Selektion im White Noise Club.

Wie schön der Bücherwürfel schwingt

Mit solchen Problemen haben Clubfestivals oder Events wie die Stuttgartnacht immer zu kämpfen. Das Popbüro kann sie auch nicht lösen. Dafür aber an ganz vielen Stellen in der Stadt zeigen, wie sehr Popmusik mit den Orten zusammenhängt, an denen sie gespielt wird – und wie sie diese Orte aufladen kann. Im Park der Villa Reitzenstein kennt man das schon, in der Stadtbibliothek noch nicht. Die aus der Mongolei stammende Sängerin Enji lässt den Bücherwürfel zum inoffiziellen Festivalauftakt am Samstagnachmittag mit ihren verjazzten mongolischen Folksongs schwingen. Wie wunderschön dieser Raum klingen kann! Wer bei diesem Konzert dabei ist, geht künftig anders durch die Bücherreihen. Bitte mehr davon!

Das Landesmuseum im Alten Schloss hat das Popbüro mit seiner Eventreihe „Dürnitz Night Call“ bereits für die (elektronische) Popmusik erschlossen, am Samstag zeigen Clara John und Sofie Royer, dass hier auch zeitgenössische Songwritermusik funktioniert, genauso wie die dazu gereichten hervorragenden Drinks übrigens.

Erinnerungen an den Rocker und die Mausefalle

Selbst mittlerweile verschwundene Locations hallen bei der About Pop nach. Zum Beispiel im Werkstatthaus, das der Rocker33-Mitgründer Thorsten Neumann leitet. Beim Auftritt der Stuttgarter Indie-Pop-Urgesteine Melody La La schließt sich der Kreis zu den seligen Popnotpop-Zeiten. Im Goldmark’s, dem gefühlt letzten noch stehenden und von der Kommunalpolitik geretteten Club aus dieser Ära, feiert die Jugend des Jahres 2024 die 1984 aufgelöste Hannoveraner New-Wave-Band Der Moderne Man, die einst im Club Mausefalle aufgetreten sind – und kriegt ihr Bier vom Levin-goes-lightly-Drummer serviert, der tags zuvor noch im Wizemann einen bemerkenswerten Auftritt abgeliefert hat. Auch das ist Szene.

Ehe die DJs bei den Aftershow-Parties übernehmen, endet der Abend für viele im oder vor dem White Noise Club bei Die Selektion. Der Sänger Luca Gillian ist Kern einer New-Wave-Szene, aus der unter anderem der Freitag-Headliner Edwin Rosen hervorgegangen ist. In der ihm ganz eigenen Art springt Gillian über die Minibühne mitten im Clubpublikum, Strobos blitzen zu neuerem Material und alten Hymnen wie „St. Leonhard“. Und Gillian spricht über das Jahr 2010, als alles begann, im Komma in Esslingen.

In der Region funktioniert es noch nicht

Das wiederum erinnert daran, dass im Pop und bei der About Pop nicht nur Räume wichtig sind, sondern auch die Distanzen dazwischen. Was sich mit etwas Glück (Warteschlange?), Verzicht und guter Planung innerhalb Stuttgarts noch halbwegs vermeiden lässt, wird für die teilnehmenden Locations in der Region zum handfesten Problem.

Das Komma in Esslingen und etliche andere Orten in der Region buchen hervorragende Bands oder sind, siehe Die Selektion, die Keimzelle für Trends, die erst viele Jahre später ihre volle Kraft entfalten. So gesehen ist es schade, dass Locations wie die Manufaktur Schorndorf oder die Dieselstraße in Esslingen nicht Teil der mit reichlich Steuergeld geförderten popmusikalischen Leistungsschau der Region Stuttgart sind.

Begeisterte Zuschauer, aber zu wenige

Womöglich wäre dort dann am Samstag aber auch ähnlich wenig los wie im Komma Esslingen oder im Kulturhaus Schwanen. Hervorragende Bands wie Timbeau, Horizontaler Gentransfer oder Kochkraft durch KMA spielen am Samstag vor viel zu wenigen, dafür begeisterten Besuchern. Die sich vermutlich fragen, warum sie für einen normal-genialen Konzertabend ein ganzes Festivalticket benötigen.

Bietigheim, Esslingen und White Noise an einem Tag – das geht vielleicht in der VVS-Werbung, ist für ein so dichtes Festivalprogramm aber utopisch. Die Spielstätten in der Region zählen so jedenfalls nicht zu den Gewinnern des Festivals. Wenn das bei der für 16. und 17. Mai terminierten About Pop 2025 anders werden soll, darf sich das Programm außerhalb Stuttgarts nicht auf Satelliten beschränken.