Die „About Pop“-Konferenz greift große Debatten auf. Wie steht es um Kunstfreiheit und Identitäten im Pop – und welche Vorbilder bietet Popmusik heute noch?

Digital Desk: Simon Koenigsdorff (sko)

Stuttgart - Für ihre dritte Auflage hat sich die „About Pop“-Konferenz in Stuttgart einiges vorgenommen: „Träger neuer Ideen“ wolle man sein, den Blick nicht nur auf das Innere der Popmusik- und Kulturbranche richten. So verwundert es an diesem Samstag kaum, dass in den Räumen des Wizemann-Areals nicht nur Musikerinnen und Musiker auftreten und über brancheninterne Fragen diskutiert wird. Es sind vor allem jene großen Debatten zu spüren, die die weitere Gesellschaft umtreiben – und das Programm scheut dabei auch nicht die Schattenseiten der Popkultur.

 

Dass die Konferenz nicht nur auf Wohlfühlthemen setzt, macht die erste Diskussionsrunde des Tages zum Thema „Pop und Populismus“ deutlich, profiliert besetzt mit Jens Balzer, Popjournalist und Autor eines gleichnamigen Buches, mit Jörg Freitag vom Kulturzentrum Komma in Esslingen sowie mit dem Geschlechterforscher Vojin Saša Vukadinović und der aus Berlin zugeschalteten Rapperin und Aktivistin Nora Hantzsch alias Sookee. Die Gäste sind sich einig: Trotz aller fortschrittlichen Tendenzen gebe es auch in der aktuellen Popszene noch viel Kritikwürdiges.

Politische Verantwortung der Musikindustrie

Um nach rechts offene Musiker wie Andreas Gabalier oder die Band Frei.Wild sei es seit dem Erscheinen seines Buches 2019 zwar ruhiger geworden, meint Balzer, doch Themen wie Sexismus und Antisemitismus seien immer noch virulent – nicht zuletzt im Hip-Hop. „Dafür gab es lange keinen stabilen öffentlichen Diskurs, Skandale sind oft schnell wieder vergessen“, meint Balzer mit Blick auf antisemitische Texte der Rapper Kollegah und Farid Bang, die 2018 erst zum Eklat beim Musikpreis Echo und letztlich zu dessen Ende geführt hatten.

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Die Rapperin Sookee sieht den Aufstieg einer „queerfeministischen Popszene“, aber in Teilen des Hip-Hops auch eine Nähe zu menschenfeindlichen Positionen. Viele müssten sich ihrer politischen Verantwortung und gesellschaftlichen Wirkung bewusster werden – nicht zuletzt auch im Management und der umgebenden Musikindustrie. „Will ich Artists unterstützen, die von Rape Culture profitieren, sie sogar befeuern?“, fragt sie mit Blick auf die aktuellen Metoo-Vorwürfe in der Deutschrap-Szene. Jörg Freitag betont, dass Texte durchaus sehr hart sein könnten – „wenn ich über Machtverhältnisse singe“. Sie lediglich zu reproduzieren sei dagegen problematischer.

Sexismus und Antisemitismus nicht nur im Rap

Kritisch sieht Sookee auch eine Trennung zwischen Musik und Musiker. Deren lang gepflegte Bühnenfiguren seien „etwas anderes als ein Schauspieler mit wechselnden Rollen“. Zuletzt weist Balzer jedoch darauf hin, dass Sexismus kein reines Problem einer als „Musik für Dumme“ verteufelten Rapszene sei. Im Pop gebe es „eine lange Tradition sexistischer Sprache“ – und er plädiert beim Stichwort Metoo für einen Blick auf die vermeintlich glänzenden Helden der 70er und 80er Jahre.

Den Bogen zu einem großen Vorbild mit Licht- und Schattenseiten schlägt später am Tag auch Reyhan Şahin, einem breiteren Publikum besser als sexuell freizügige Skandalrapperin Lady Bitch Ray bekannt. Sie liest aus ihrem Buch über ihr großes Vorbild Madonna und beschreibt, wie die „Queen of Pop“ sie geprägt hat: „Sie hatte den Mut, ihre Sexualität zu inszenieren.“ Noch heute bediene sie sich für ihren eigenen Stil an den freizügigen Bühnenoutfits, mit denen Madonna in den 90er Jahren erfolgreich provozierte.

Vorbild Madonna?

Dazwischen kommt immer wieder die eigene Biografie der promovierten Sprachwissenschaftlerin zur Sprache – so auch ihr Rauswurf als Radiomoderatorin, als sie Mitte der nuller Jahre mit ihren provokanten Texten aneckte. Als sie 2008 an einer Depression litt, habe sie eine Gelegenheit verpasst, Madonna persönlich zu treffen, erzählt Şahin. Doch ihrem feministischen Vorbild aus Kindertagen würde sie heute einige kritische Fragen stellen. In einem Dokumentarfilm warfen 2016 mehrere schwarze, homosexuelle Tänzer aus ihrer Crew Madonna vor, sie ausgebeutet zu haben. Und so bekommt auch eine „lebende Legende“ Risse.