Die zweite Etage des Verbindungstegs über der Steinstraße ist nun abgebaut. Kommendes Wochenende soll der Rest weichen – und den Blick zwischen Rathaus und Tagblatt-Turm freigeben.

Stuttgart - Das Stahlseil sitzt. Eingefädelt ist es in frisch gebohrte Löcher, sicher festgezurrt – und aufgehängt am Ausleger eines Krans. Ein gleichschenkeliges Dreieck formt es in der Luft, setzt sich – an eine geometrische Zeichnung gemahnend – vom gegenüberliegenden Tagblatt-Turm ab. Zumindest, wenn man es vom obersten Deck des Parkhauses der Galeria Kaufhof betrachtet. Kaum zu glauben, dass gleich an diesem fast zierlich wirkenden Strang bald ein rund zehn Meter langer Stahlträger baumeln wird. Dieser war einst Teil des Stegs, der den Kaufhof, ehedem Horten, mit dem Gebäudeensemble Eberhardstraße 18-22 über die Steinstraße hinweg verband.

 

Doch nun wird der Brückenbau abgebrochen. Von den legendären „Hortenkacheln“, die die dreistöckige Verbindung einst kleideten, ist längst nichts mehr zu sehen. Diese stilisierten Hs, die erstmals der Fassade eines Hortenkaufhauses in Stuttgart 1961 vorgesetzt wurden als Zeichen der Corporate Identity, wurden schon abgenommen.

Lesen Sie hier: Verbindungssteg über der Steinstraße wird demontiert

Auch das Innere ist demontiert – bereits im Januar war die Baustelle eingerichtet worden. Soll doch anstelle des Ensembles Eberhardstraße 18-22 das Wohn-, Büro- und Geschäftshaus „Vier Giebel“ entstehen. Bauherr des Projekts ist die LBBW Immobilien-Gruppe, Stuttgart, das Büro Jo. Franzke Generalplaner GmbH, Frankfurt, zeichnet für die Architektur verantwortlich. Es war zweitplatziert im Wettbewerb und erhielt nach einer Überarbeitung im Februar 2019 den Zuschlag. Stadträte hatten sich gegen den Erstplatzierten ausgesprochen.

Bau bis 2023

Statt eines großen Baus setze man hier auf vier kleinteiligere Giebelhäuser mit außergewöhnlicher Natursteinfassade, erläutert LBBW-Projektmanager Thorsten Lyko. „Passend zu den Gebäuden der Straße wird die Altstadtarchitektur aufgenommen und modern interpretiert.“ Doch bis dahin dauert es noch, 2023 soll das Ensemble fertiggestellt sein.

Nun ist erst einmal ein anderer Meilenstein für die Vier Giebel dran: der Abbruch der Brücke. Dieser begann am Wochenende zuvor, dem 10./11. April, und soll am kommenden Samstag abgeschlossen sein. „Wir wollten eigentlich heute fertig werden“, räumt Lyko ein. Doch die Wegeführung und Logistik sei komplex. Müssen doch für einen derartigen Eingriff die Straßen für den Verkehr gesperrt werden. Die Baumaschinen benötigen genügend Raum, um zügig arbeiten zu können: Betonschere, Bagger und Lkw brauchen entsprechende Rangiermöglichkeiten, um den Abraum sofort wegtransportieren zu können. „Dafür muss der Verkehr umgeleitet werden, etwa über die Nadlerstraße. Das war von der Stadt aus nicht so möglich, wie geplant“, so Lyko.

Millimeterarbeit nötig

Und so überspannen an diesem Samstag noch zwei skelettartige Ebenen die Steinstraße, auf der sich außer dem Kran eine Gelenkhebebühne eingefunden hat. Immer wieder bringt sie einige der sechs Bauarbeiter, die da in fast fünf Metern Höhe werkeln, unter die – ursprünglich 14 – Stahlträger des zweiten Geschosses in die richtige Position. Schließlich geht es um Millimeterarbeit nach festgelegtem Drehbuch – im ständigen Austausch mit Funk und Smartphone, dirigiert vom Bauleiter. Träger für Träger werden Schrauben gelockert, Löcher gebohrt, gesägt, festgezurrt, weggetragen, abgesetzt ...

Nun haben die Männer in ihren leuchtenden gelb-orangenen Sicherheitswesten den fünften Träger gelockert. Während eine Seite bereits in der Luft schwebt, sprühen auf der anderen noch die Funken. Die Säge gräbt sich tief durch die letzten Zentimeter des Metalls. Kaum versiegt und kurz abgekühlt, wird nochmals Lage und Befestigung überprüft, bevor der Kranführer den Koloss aufhebt und in die Einmündung der schmalen Geißstraße ablegt – langsam, bedächtig, minutiös austarierend. Er darf keinesfalls an ein angrenzendes Gebäude stoßen oder es gar beschädigen. In dem Sträßchen harren schon vier solcher metallischer Balken. „Das gesamte zweite Stockwerkwerk werden wir heute abbauen“, ruft ein Mitarbeiter der Stuttgarter AWR Abbruch und Erdbau GmbH fröhlich hinter dem Baustellenzaun hervor.

Wohl bis in den Abend hinein. Ein Balken dauere etwa eineinhalb Stunden. Er zeigt nach oben. „Nächsten Samstag kommt die letzte, also erste Etage dran, da werden wir sicher fertig.“ Ermessen kann man aber jetzt schon einen städtebaulichen Effekt: Ohne den Steg, längst als Makel im Umfeld betrachtet, wird eine Jahrzehnte blockierte Sichtachse wieder frei – und damit der Blick vom Rathaus zum Tagblatt-Turm und umgekehrt.