Abrisspläne in Kirchberg/Murr Für vier Fledermäuse fallen 50.000 Euro an
In der alten Gemeindehalle in Kirchberg im Rems-Murr-Kreis wurden vier Fledermäuse gesichtet. Das kostet die Gemeinde viel Geld und könnte den Hallenabriss verhindern.
In der alten Gemeindehalle in Kirchberg im Rems-Murr-Kreis wurden vier Fledermäuse gesichtet. Das kostet die Gemeinde viel Geld und könnte den Hallenabriss verhindern.
Mit der Umsetzung der geplanten neuen Gemeindehalle haben die Kirchberger wahrlich kein Glück. Als nach jahrelangen Diskussionen der Beschluss zum Abriss der rund 55 Jahre alten Halle gefallen war, kam Corona – und damit kamen Lieferengpässe und enorme Preissteigerungen. Obwohl die rund 4000 Einwohner zählende Gemeinde an der Murr deshalb mit dem Neubau zum ersten Mal seit Jahren Schulden machen müsste – die Deckungslücke für die zuletzt auf 13,7 Millionen Euro kalkulierte neue Halle liegt trotz etlicher Fördermittel bei rund fünf Millionen –, sahen Gemeinderäte und Verwaltung keine brauchbare Alternative dazu. Seitdem sind etliche Vorarbeiten gelaufen.
Doch nun das: Ein von der Gemeinde für die nötige artenschutzrechtliche Prüfung beauftragtes Fachbüro hat festgestellt, dass der offene Dachboden der alten Halle von vier Bechsteinfledermäusen besucht wird. Die geschützten Tiere leben dort aber offenbar nicht dauerhaft: „Eine Wochenstube wurde dort nicht gefunden“, sagt Kirchbergs Bürgermeister Frank Hornek.
Dass das Bundesnaturschutzgesetz dennoch vor einem Abriss der Halle die Erstellung von Ersatzquartieren für die seltenen nachtaktiven Insektenjäger vorschreibt, findet Hornek nachvollziehbar und in Ordnung: „Wenn ich irgendwo Wohnraum wegnehme, muss ich auch wieder welchen schaffen.“ Im Februar wurden auch bereits insgesamt 22 künstliche Fledermausquartiere errichtet – zum Teil an der neuen Sporthalle, zum Teil am alten Schulgebäude. Alles in unmittelbarer Nähe zur bestehenden Gemeindehalle und in Abstimmung mit der Unteren Naturschutzbehörde des Rems-Murr-Kreises und dem beauftragten Fachbüro. Kostenpunkt: Mehr als 20 000 Euro.
Zum Teil seien die Kästen richtig groß, berichtet der Bürgermeister, andere eher mit Vogelnistkästen vergleichbar. Ziel des großen und vielfältigen neuen Quartierangebots soll sein, dass die Fledermäuse es auch annehmen – und zwar möglichst schnell.
Denn das Bundesnaturschutzgesetz geht noch weiter. Bevor die alte Halle abgerissen werden kann, muss sicher sein, dass die Ersatzbauten tatsächlich genutzt werden. Kontrolliert werden soll dabei über einen Zeitraum von insgesamt fünf Jahren jeweils in den Dämmerungsstunden zwischen April und September. Erfasst werden dabei mögliche Fledermausanflüge in den Jahren 2025, 2026 und 2029, und zwar viermal in jedem Jahr, wobei die reinen Sichtkontrollen durch einen Detektor gestützt werden.
Dieses sogenannte Monitoring ist, ebenso wie die künstlichen neuen Quartiere, nicht für ein Schnäppchen zu haben: knapp 21 000 Euro netto kosten die Überwachungen durch das Fachbüro. Rechne man noch die Voruntersuchungen hinzu, komme alles in allem ein Betrag von etwa 50 000 Euro zustande, so Hornek, der darüber nur den Kopf schütteln kann. Auch im Gemeinderat äußerte der eine oder die andere Unverständnis über die Vorgaben; das Fledermausmonitoring wurde dennoch mit deutlicher Mehrheit beschlossen.
Der Kirchberger Bürgermeister fragt sich dabei, warum man auch noch nachweisen muss, dass die Ersatzquartiere angenommen werden: „Warum reicht es nicht, dass wir eine im Grundsatz geeignete Maßnahme für den Fledermausschutz ergreifen?“ Man könne den Fledermäusen schließlich nicht vorschreiben, wo sie ein- und ausfliegen wollen.
Vor allem: Was passiert, wenn den Fledermäusen die neuen Unterkünfte nicht zusagen? Bechsteinfledermäuse, ist beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu) nachzulesen, sind echte Waldfledermäuse, was ihr Vorkommen im waldreichen Kirchberg erklärt. Am liebsten haben sie demnach naturnah bewirtschaftete Laubmischwälder, wo es ausreichend Baumhöhlen als Rückzugsort gibt.
Zu finden sind sie laut Nabu aber auch in Vogelnisthilfen, im Winter dagegen ziehen sie unterirdische, vor Frost besser geschützte Quartiere – Höhlen und Stollen – vor. Sommerquartiere in Gebäuden seien sehr selten, so die Naturschutzexperten. Hinzu kommt, dass laut Nabu Bechsteinfledermäuse „aufgrund ihrer sehr leisen Ultraschallrufe selbst mit modernsten Fledermaus-Detektoren kaum systematisch zu beobachten sind“. Ein Nachweis dürfte also eine Herausforderung werden.
Doch sollte die Umsiedlung nicht erfolgreich sein oder nicht nachgewiesen werden können, „steht im Raum, dass die alte Gemeindehalle nicht abgerissen werden darf“, so der Kirchberger Bürgermeister. Immerhin: Die neue Halle kann dennoch gebaut werden, denn sie soll neben der alten entstehen. Der Baubeginn ist für August dieses Jahres vorgesehen. Es könnte aber sein, dass man in Kirchberg dann zumindest vorübergehend zwei Hallen nebeneinander hat. Wenn die Fledermäuse oder der Gesetzgeber nicht noch ein Einsehen haben.
Rückgang
Seit rund 50 Millionen Jahren bevölkern Fledermäuse die Erde. Sie sind die einzigen Säugetiere, die aktiv fliegen können. Eine weitere Besonderheit: Sie können mit den Ohren „sehen“. Seit den 1950er-Jahren ist ihre Zahl in Deutschland dramatisch zurückgegangen – wegen intensiver Landwirtschaft und zunehmendem Mangel an Lebensraum.
Artenvielfalt
Mehr als 1400 Fledermausarten gibt es weltweit, in Deutschland sind es nur 25. Die Bechsteinfledermaus steht auf der Roten Liste besonders gefährdeter Tierarten und ist laut Nabu selbst unter Experten wenig bekannt.