Für viele Menschen ist der 15. April ein Festtag: Dann werden die letzten Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet. Doch Politiker der CDU wie Raimund Haser sowie einige Wissenschaftler und Bürger aus Baden-Württemberg wollen nicht jubeln.

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Raimund Haser ist das, was man gemeinhin einen vernünftigen Mann nennt. Er hat Betriebswirtschaft studiert, eine Kommunikationsagentur gegründet und wurde 2016 für die CDU in den Landtag gewählt. Dort ist er Vorsitzender des Arbeitskreises Umwelt, Energie und Klimaschutz. Der 47-Jährige wohnt in der Gemeinde Kißlegg im württembergischen Teil des Allgäus, ist verheiratet, hat eine Tochter und ist Katholik. Das Logo „Atomkraft? Nein danke“ würde er sich wohl nicht ankleben. Er gehört zu jenen, die die Abschaltung der letzten AKW in Deutschland an diesem 15. April falsch finden.

 

„Ich halte den derzeitigen Jubel für verfrüht“, sagt der CDU-Politiker. Er werde erst dann jubeln, wenn er mit der neuen Energiewelt zufrieden sei. Derzeit würden aber viele Wärmepumpen im Südwesten nicht „quasi CO2-neutral wie früher durch Atomstrom“ betrieben werden, sondern durch Kohle und Gas, argumentiert er. Und sobald alle Atomkraftwerke in Frankreich wieder liefen, käme auch von dort wieder Strom, das sei „noch nicht die Energiewende, die wir wollen“.

Noch einmal Brennstäbe und noch eine Revision?

Für den CDU-Politiker wäre es logischer gewesen, nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine den sicherheitstechnischen Aufwand für einen vorübergehenden Weiterbetrieb in Kauf zu nehmen, neue Brennstäbe für die verbliebenen Atomkraftwerke zu bestellen und deren Laufzeit noch zu nutzen – voraussichtlich bis 2025 oder 2026. „Das hätte uns etwas Luft verschafft“, sagt Haser. Denn der Ausbau des Stromnetzes – insbesondere der Nord-Süd-Trassen – und der Aufbau der erneuerbaren Energien gingen nicht schnell genug voran, um die Abschaltung der AKW klimaneutral zu kompensieren, argumentiert er.

Nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 hatte der Bundestag beschlossen, dass die letzten drei Kraftwerke Neckarwestheim 2, Isar 2 und Emsland Ende 2022 abgeschaltet werden. Nur wegen des Ukraine-Kriegs und der Energiekrise wurde der Streckbetrieb bis 15. April 2023 erlaubt.

Stuttgarter Professor hatte Petition initiiert

Neben Politikern wie Raimund Haser gibt es auch einige Forscher und Bürger, die die jetzige Abschaltung für falsch halten. Im Juli 2022 hatten 20 Wissenschaftler eine Petition namens „Stuttgarter Erklärung“ beim Bundestag eingereicht. Mehr als 58 000 Menschen haben das Plädoyer für Atomenergie unterzeichnet. „Mit einseitiger Ausrichtung auf Sonne, Wind und Erdgas wurde Deutschland in Energienot manövriert. Das Festhalten am Atomausstieg bremst den internationalen Klimaschutz“, heißt es darin.

Initiiert hatte die Petition der Physiker und Stuttgarter Professor für Energiespeicherung André Thess. Er spricht von einem „fundamentalen Denkfehler“ der deutschen Energiepolitik und wehrt sich dagegen, als Lobbyist oder in der rechten Ecke verortet zu werden. Beides sei abwegig, meint er. In einer Studie hatte Thess berechnet, dass durch die Abschaltung der drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke das Weltklima mit 15 Millionen Tonnen zusätzlich ausgestoßenem Treibhausgas CO2 pro Jahr belastet.

Noch ersetzen die Erneuerbaren nicht die AKW

„Mir fehlt derzeit die Alternative – ohne dass ich ein AKW-Fan bin“, sagt auch CDU-Politiker Haser. Allerdings könne man darüber kaum mehr sachlich diskutieren. Wer für längere AKW-Laufzeiten plädiere, sei in der politischen Diskussion automatisch gegen erneuerbare Energien. „Das ist Unfug.“

Er akzeptiere den Atomausstieg freilich, betont Haser, die Frage sei nur: Wie viel CO2 emittiere Deutschland bis zum Zeitpunkt, wenn die Erneuerbaren die Atomkraft ersetzen? Er gibt sich die Antwort gleich selbst: „In den kommenden fünf Jahren werden wir so viel CO2 wie niemals zuvor in diesem Land für die Stromproduktion ausstoßen.“