Einen klanglosen Abschied hat das Münztelefon nicht verdient, finden fünf Autoren unserer Zeitung. Deshalb haben sie in ihren Erinnerungen gekramt. Fünf Geschichten über gefundene Pornoheftchen, Uringeruch und fehlende Seiten in Telefonbüchern.

Eine Ära geht zu Ende. Die öffentlichen Münztelefone wurden jetzt abgeschaltet, bis 2025 sollen sie ganz abgebaut werden. Ein paar Apparate stehen noch im Kreis Esslingen. Einige mag das schmerzen, den meisten dürfte das ziemlich egal sein. Darauf lässt zumindest die Tatsache schließen, dass viele Fernsprecher zuletzt nur wenige Euro Umsatz im Monat einbrachten: Sie wurden also nicht genutzt, nicht gebraucht – vergessen, dass es sie gibt. Fünf Redakteure unserer Zeitung sind der Meinung: Das hat die Telefonzelle nicht verdient. Schließlich war sie über Jahrzehnte hinweg ein Ort des Miteinanders, an dem Liebesgeschichten begannen. In ihnen wurden im Urlaub hektisch Grüße in die Heimat überbracht, Geldbeutel vergessen und wild gegen die Scheiben gehämmert, wenn der Vordermann zu lange telefonierte. Die fünf Autoren haben zum Abschied in ihren Erinnerungen nach Geschichten gekramt, die ihnen in Telefonzellen widerfahren sind. Und sie wurden fündig.

 

Ein Duft, der haften bleibt

Diesen Geruch bekommst du nie mehr raus aus deiner Nase: Der olfaktorische Mix aus altem Schweiß, feuchtem Papier, kaltem Rauch und getrocknetem Urin steht für die Telefonzelle wie nichts anderes. Doch obwohl es sich dort eigentlich und überhaupt nicht aushalten ließ, obwohl der Hörer (ja, das gab’s noch extra) oft fettig und versifft war, obwohl einen die Bakterien und Viren aus den Telefonbüchern – in denen stets genau die Seiten fehlten, auf die es ankam – geradezu ansprangen, es war ein Ort des Verweilens: vor allem für all jene, die lange Zeit nicht zu den stolzen Besitzern eines Hausanschlusses gehörten (ja, auch das gab’s).

Entsprechend lang waren häufig die Schlangen vor den einst gelben Häuschen. Bis Anfang 1980 kostete ein Ortsgespräch – und zwar ohne jedes Zeitlimit – 20 Pfennige (so hießen die Cents damals). Warum also nicht mit der Freundin, der Oma, dem Kumpel oder sonst irgendwem auch mal ‘ne Stunde und länger quatschen. Das Ding wurde ja auch „Öffentlicher Fernsprecher“ genannt, was angesichts der Tatsache, dass die draußen nur durch eine dünne Scheibe von dem drinnen getrennt waren, im doppelten Sinne stimmte. Die Telefonzellen sind nun also endgültig Geschichte. Öffentliche Fernsprecher gibt es allerdings mehr denn je: Direkt neben dir in der S-Bahn, hinter dir im Bus, schräg gegenüber im Café oder einfach irgendwo sonst auf Esslingens Straßen. (eas)

Daten wie einst Fred Feuerstein

Wie war es doch vordem mit der Zelle so unbequem. Wir sind in der prähistorischen Ära lange vor dem Smartphone. Fred Feuerstein, ein Jüngling von zarten 16 Jahren, will pochenden Herzens mit seiner Liebsten (die nicht ahnt, dass sie es ist) ein Date ausmachen: fernmündlich zwecks Anbahnung nahmündlicher Kontakte. Vor der Telefonzelle stauen sich die Telefonierwilligen. Das Zeitfenster wird eng, die einzig Geliebte ist demnächst in der Mittagsschule. Plötzlich – verdammte Scheiße: keine einzige Münze dabei. Kumpel Barney hat auch keine. Fred spurtet los, Kohle holen. Barney reiht sich ein, kommt dran, fummelt am Geldschlitz, als lasse er Münzen reinfallen, gestikuliert wie wild, spricht lautstark in die Muschel zum Signalton. Bis Fred zurück gehetzt kommt, Barney von der Strippe reißt und – empörte Wartende eingreifen. Noch alle Tassen im Schrank? Zerrt den Jungen einfach vom Hörer!

Viel fehlte nicht, und es hätte ein Date mit der Polizei gegeben. Das andere kam nicht mehr zustande. (mez)

Ausgiebiger Girls-Talk in der Zelle

In den Pausen standen meine Freundin und ich immer am Fenster und schauten ins andere Gebäude. Da drückte ihr Schwarm die Schulbank. Hat er mich heute auf dem Schulhof angeschaut oder nicht? Die Frage beschäftigte uns Mädels auch nach dem Unterricht noch ungemein. Obwohl wir am Vormittag sechs Stunden nebeneinander im Klassenzimmer gesessen hatten, war das Thema abends noch lange nicht erschöpft. Da wurde von zuhause telefoniert. Mobiltelefone gab es in den 1980er-Jahren noch nicht. Als mein Vater von der Arbeit heimkam, war der Girls-Talk im heimischen Hausflur schnell vorbei. Nach einem harten Tag im Konstruktionsbüro hieß es: „Ich will meine Ruhe.“ Was also tun? Zwei Straßen weiter gab es eine Telefonzelle. Also plünderte ich an den warmen Sommertagen das Sparschwein und setzte das Telefonat fort. Wenn das Kleingeld alle war, mussten wir uns bis zum nächsten Tag gedulden. Bis die zwei endlich ein Paar waren, ging manche Mark vom Taschengeld drauf. Schön war, dass bei einem dieser endlosen Telefonate plötzlich mein Angebeteter vor der Zelle stand. Da legte ich rasch auf. Statt zu telefonieren, kam er dann mit mir ins Gespräch. Zwei Stunden redeten wir – und verstanden uns auch ohne Hörer blendend. Ein Paar sind wir nicht geworden, aber ziemlich gute Freunde. (eli)

Ein Job für den Enkel

Sie stand ganz zentral in der Mitte der 650-Einwohner-Gemeinde im Fränkischen, unweit der Kirche. Weil in der dörflichen Enge jeder von jedem wusste, war meistens sofort klar, mit wem der sprach, der gerade in der gelben Telefonzelle stand. Schallschutz gab es dort nicht. Und das Wort Intimsphäre war noch gar nicht geboren. In den 1960ern besaßen nur wenige im Dorf ein eigenes Telefon. Großmutter gehörte nicht zu den Privilegierten. Um Kontakt mit der Tochter zu halten, die in die Stadt gezogen war, suchte sie einmal pro Woche die Telefonzelle auf. Meist mit dem Enkel an ihrer Seite. Zum Glück war der damals schmal, denn die beleibte Oma füllte den kleinen Raum allein fast aus. Doch musste der kleine Kerl dabei sein. Denn die Großmutter war so konzentriert auf das Gespräch, dass sie oft vergaß, Geldstücke einzuwerfen. Also bekam der Enkel den Job, immer wieder Zehn-Pfennig-Stücke nachzuwerfen, bis das Telefonat beendet war. Meist hat sich das für ihn ausgezahlt. Denn die restlichen Zehnerl durfte er im Lebensmittelladen um die Ecke in Süßigkeiten umsetzen. (hf).

Schweineheftchen gefunden

Dass ich nur die alten Tage der Telefonzelle mitbekommen habe, liegt wohl daran, dass ich 27 Jahre alt und ein Kind der Mobiltelefonie bin. An eine Geschichte erinnere ich mich dennoch: Es war die Zeit vor meiner Einschulung, ich war also ein kleiner Knirps und ausgesprochen neugierig. Meine Großmutter hatte damals einen feststehenden Wohnwagen auf einem Campingplatz im Schwarzwald. Wenn ich sie dort besuchte und man ein Lebenszeichen an die Eltern schicken wollte, dann musste man die alte, gelbe Telefonzelle vor dem Eingang der Anlage aufsuchen.

Als ich eines Nachmittags mit meiner Oma dieses Häuschen betrat, fand ich auf einer Ablage ein kleines bebildertes Heftchen. Es lebte von den Fotos. Die Geschichten, um die sich diese Szenen drehten, standen im Hintergrund. Aufregend für mich als Kind waren die zahlreichen Fotos nackter junger Menschen, die sich ziemlich wild verrenkten. Was ich damals nicht verstand, aus heutiger und pädagogischer Sicht jedoch die absolut richtige Entscheidung war: Ich durfte das Schweineheftchen nicht behalten. (dcb)