Abschiedsvorlesung von Werner Sobek Zum Adieu die Welt von morgen

Bauen ist für ihn auch das Ausloten von Zukunft: der Bauingenieur Werner Sobek. Foto: René Mueller Photographie

Der Platz im Audimax der Universität Stuttgart reichte nicht aus: Der Architekt Werner Sobek hat seine Abschiedsvorlesung gehalten – und betonte, welchen enormen Hebel der Bausektor bei der Bekämpfung des Klimawandels habe.

„Für mehr Menschen – mit Liebe und Hingabe – mit weniger Material emissionsfrei – bauen“. Nachdrücklich sprach Werner Sobek die Wörter, die da hinter ihm auf der Leinwand weiß auf grau prangten. Ein Satz, der seine Arbeit treffend umreißt. Ein Satz, den er zum letzten seiner Abschiedsvorlesung übertitelt „Die Randbedingungen des Zukünftigen“ an der Universität Stuttgart machte.

 

An dem Ort, wo der Bauingenieur und Architekt vor fast 30 Jahren Frei Otto nachfolgte als Direktor des Instituts für Leichte Flächentragwerke und des Zentrallabors des Konstruktiven Ingenieurbaus. Dort, wo er im Jahr 2000 zudem einen zweiten Lehrstuhl übernahm, den von Jörg Schlaich, und das Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) gründete. Und Sobek, der am 16. Mai seinen 70. Geburtstag feierte, gehört zu den Initiatoren der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen.

Übervoll war denn auch der Audimax, der größte Vorlesungszahl des Campus Stadtmitte, daher wurde auch in den Hörsaal nebenan übertragen. „Um die 1000 Menschen müssen hier sein“, konstatierte Wolfram Ressel, Rektor der Universität Stuttgart. Schmunzelnd bekannte er, Sobek schon für einen Gastvortrag im Herbst gewonnen zu haben. So lag statt Abschied mehr Auf Wiedersehen in der Luft. Sobek habe noch Doktoranden, verriet eine einstige Studentin. Sie kam mit vielen, teils von fern angereisten Ehemaligen, um ihm einen Olivenbaum zu überreichen: „Sie haben schon viele Bäume gepflanzt!“

„Don’t forget to play“ – Laudatio von Christoph Ingenhoven

Ein anderes symbolisches Geschenk hatte Winfried Kretschmann dabei, eine Miniaturausgabe des „schönsten Regierungssitzes Deutschlands“, der Villa Reitzenstein. In seinem Grußwort lobte der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, dass Sobek Bauen ganzheitlich betrachtet habe, alle Prozesse von den Ressourcenverbrauch bis zur Entsorgung. „Mit Sinn für Ästhetik!“ Die kritischen Rottweiler hätten denn auch seinen Aufzugtestturm einfach so durchgewunken.

Was man von Werner Sobek lerne, beschrieb Architekt Christoph Ingenhoven, langjähriger Freund, Weg- und Projektgefährte, in seiner humorvollen, auch in Sachen Klimawandel dringlichen Laudatio. „Effizienz, Genauigkeit, Experiment, Sophistication, die Verfeinerung – kein Gramm an Material zu viel. Und das Spielerische, ‚don’t forget to play’. Guter Erklärer, guter Professor.“ Einer, der von seinen Studierenden verlangte, sich klar auszudrücken, sodass es die Oma auch nachts um drei Uhr versteht.

Werner Sobek: Bauen als Ausloten von Zukunft

„Sonst denkt man nicht klar“, ging Sobek in seiner Vorlesung darauf ein. Und sprach vom Bauen als Ausloten von Zukunft und Ertasten von Randbedingungen. Zu diesen gehören Klimawandel, ungerechte Verteilung von Nahrung, Notwendigkeit Emissionen aus der Atmosphäre zu ziehen. Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung und muss versorgt werden. „Um den hierfür wichtigen interdisziplinären Diskurs zu führen, braucht es eine gemeinsame Sprache. Die haben wir nicht!“, sagte Sobek. „Meinen wir bei Erderwärmung die Zahlen des IPCC oder der NASA? Und von welchem Zeitpunkt aus rechnen wir die Reduktion?“ Der Bausektor, der 60 Prozent der Ressourcen und 38 Prozent Energie verbraucht sowie 50 Prozent Müll und 50 Prozent Emissionen produziert, habe einen enormen Hebel. Ein verständliches Gesetz zum klimaneutralen Bauen müsse schlicht alle schädliche Emissionen beim Bau, Umbau und Rückbau gänzlich untersagen. Außerdem gelte es, den Netzausbau voranzubringen.

Das Aktivhaus B10 versorgt auch das Le Corbusier-Haus mit Strom

Die wegweisenden Projekte seiner Institute und Büros zeigen, was geht mit der Eigenschönheit des Leichtbaus, von Glaskuppeln an den Grenzen des Materials bis zu Trägern aus Gradientenbeton, nur die Hälfte der Baustoffs benötigend. Und freilich R128, Sobeks legendäres, vollverglastes, experimentelles Nullheizenergie-Wohnhaus – emissionsfrei, gänzlich rezyklierbar. Sein Aktivhaus B10 produziert so viel Strom, dass es neben Elektro-Smarts und Elektrofahrrädern auch das denkmalgeschützten Le Corbusier-Haus mitversorgt. „Wir können nicht alles gleich behandeln, müssen die Gesamtheit sehen“, sagte Sobek. „Die alte Dame kann man nicht dämmen, Strom von nebenan – das nenne ich Schwesterlichkeit.“

Weitere Themen