„Wohin woher wieweit“ ist ein Zusammenspiel aus Musik, Gesang, Lichteffekten und vor allem natürlich Tanz. Der Inhalt des Stücks erschließt sich allerdings nicht so einfach, denn die Tanzwerkstatt hat sich die Verworrenheit des Lebens zum Vorbild genommen. „Es geht darum, sich in das Labyrinth des Lebens zu begeben und Erkenntnisse aus seinem bisherigen Lebensweg zu ziehen“, erklärte die Biennale-Mitarbeiterin Leonie Rothacker in ihrer Ansprache. Dazu gehören die Begegnungen und Beziehungen, die man auf der persönlichen Lebensreise eingeht, die Entscheidungen und Fehlentscheidungen, der Umgang mit Problemen und Veränderungen.
Es geht um Angst, Liebe und Tod
Es geht um Angst, Liebe, Geburt, Tod, Schicksalsschläge, Vergangenheit und Zukunft. Vor allem aber geht es um die Gefühle, die dem Leben einen Knick oder eine Wendung geben und manchmal auch in eine Sackgasse führen können. „Für das Entstehen des Stücks war jede einzelne Tänzerin mit ihren ganz eigenen Erfahrungen und ihrem Lebensweg essenziell“, sagt Leonie Rothacker. „Erst durch das Zusammenspiel aller Beteiligten war es möglich, dieses Gesamtwerk zu schaffen.“
Zu Beginn betreten die Tänzerinnen die Bühne, barfuß und mit schweren Reisekoffern in der Hand. Schweigend stellen sie das Gepäck auf dem Boden ab und gewähren dem Publikum einen Einblick ins Innere der Koffer: Sie sind randvoll mit Schuhen gefüllt: High-Heels, Sportschuhe, Kinderschuhe. Dann setzen die Musiker Zura Dzagnidze und Marie-Luise Lutz langsam mit Gitarre und Gesang ein. Während die Musik Fahrt aufnimmt, erwachen auch die Tänzerinnen aus ihrer Starre, krümmen und entfalten sich, vollführen Drehungen und schwingen die Arme. Jeweils in Dreier-Konstellationen werden Begegnungen dargestellt, die unterschiedlich verlaufen.
Während sich das eine Trio in Harmonie zueinander bewegt, scheinen beim zweiten Trio Konflikte aufzutreten. Die Tänzerinnen rempeln sich an, finden zusammen, um dann wieder in Zeitlupe um sich zu schlagen.
Schuhe als Symbol für das Leben
Bald darauf kommen auch erstmals die Schuhe aus den Koffern zum Einsatz. Jede Tänzerin beginnt, einen eigenen, kleinen Haufen daraus zu bauen. Im Verlaufe des Stücks sollen die Schuhe noch mehrfach Aufmerksamkeit bekommen. Mal als spielerisches Element, mal als ein weiteres Symbol für das Leben, das wie Schuhe manchmal drückt, zu klein wird oder einfach nicht mehr zu einem passen will.
Die Inszenierung lässt die Tänzerinnen zwar stets harmonisch miteinander agieren, dennoch wird deutlich, dass jede ihre eigene Interpretation von Emotionen mitbringt. Als ein bedrohlicher Sound einsetzt und sich mit kaltem Licht vermischt, stellt jede Tänzerin den Strudel des Lebens und ihre Verzweiflung anders dar. Die einen krümmen sich zusammen, die anderen beben. Auch die Mimik variiert immer wieder und haucht dem Tanztheater Lebendigkeit ein. Gegen Ende des Stücks bilden die acht Frauen aus den Schuhen ein Labyrinth, das jede auf ihre Weise durchschreitet. Letztlich muss schließlich jeder seinen eigenen Weg in die Mitte des Labyrinths finden. Was sich einem dort offenbart, liegt ganz bei einem selbst.
Und genau das ist auch das Besondere des Tanztheaterstücks: Jeder Zuschauer kann das Gesehene für sich interpretieren und Schlüsse für das eigene Leben daraus ziehen.
Für die Tanzwerkstatt geht es nun am 10., 17. und 20. November noch einmal auf die Bühne. Danach gehen die Tänzerinnen ihre eigenen Wege. Ein Abschied, der offensichtlich einigen nicht ganz leichtfällt, denn schließlich verbindet die Mitwirkenden eine Menge. „Als wir uns 1985 zum ersten Mal begegnet sind, war ich 30 Jahre alt und viele der Tänzerinnen gerade mit dem Abitur fertig“, erinnert sich Gesamtleiterin Monika Heber-Knobloch. Im Laufe der letzten Jahre habe man in der Gruppe die Lieben mitgekriegt, die Geburten und Schicksalsschläge.
„Wir haben unendlich viel gelacht, getröstet, geweint, gestritten und uns versöhnt, aber vor allem lange zusammengehalten“, sagt Monika Heber-Knobloch. Was nun bleibt, sind die Geschichten – und die wird man sich von der Sindelfinger Tanzwerkstatt sicher noch lange erzählen.