Nach vier Tagen hat am Sonntagabend das erste New Fall Festival in Stuttgart mit dem Auftritt der US-Independant-Band Wilco einen grandiosen Abschluss gefeiert.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Am Ende mögen auch die „Stammgäste“ dieses noch jungen Konzertreigens ein wenig erschöpft gewesen sein. Große Lücken klafften am Sonntagabend auf der Empore des Beethovensaals, im Gegensatz zu den vorangegangenen, teils ausverkauften, teils bestens besuchten Auftritten des New Fall Festivals vermochten ausgerechnet die von der Papierform her renommiertesten Musiker das Publikum nicht in vollem Umfang zu locken. Womöglich war das allerdings auch etwas konstruktionsbedingt. Wie beim gesamten Festival, das als überwölbendes Konzept Erwachsenenmusik in Erwachsenensälen propagiert hat, war auch der Auftritt der Band Wilco aus Chicago komplett bestuhlt. Im letzten Drittel des Konzerts erzählte der Bandvorsteher Jeff Tweedy dem Publikum folglich, was er am Abend zuvor den Besuchern in Düsseldorf geraten habe. Es könne sein, so Tweedy, dass man am Ende bereuen möge, den ganzen Abend gesessen zu haben. Nur ein paar Augenblicke später trauten sich folglich umgehend die ersten Besucher und strömten vor zur Bühne, wenig später stand das gesamte Parkett.

 

Tweedy scherzte daraufhin, dass man nun eine Ballade spielen werde, was die Band dann natürlich nicht tat – aber nichtsdestotrotz offenbarte dieser Moment das gleiche, was am Samstagabend auch schon beim Ensemble Brandt Brauer Frick zu Tage trat: dass es im weiten Reich der Popunterhaltung nun einmal Musiken gibt, die man eigentlich lieber mit Beinwippfreiheit genießen möchte. Was im Umkehrschluss, siehe oben, wiederum vielleicht den ein oder anderen vom Besuch eines bestuhlten Konzerts abgehalten haben mag.

Zwischen Country-, Alternative- und klassischem Rock

An der Klasse der Musik kann der etwas geringe Zuspruch jedenfalls nicht gelegen haben. Zwei Stunden lang führte Wilco beeindruckend vor, wie man eine druckvolle Liveperformance zu gestalten hat. Sechs Herren stehen auf der Bühne, extrem klangsatt tanken sie sich durch ihr langes Set. Herausragend musizieren dabei der Leadgitarrist Nels Cline, der eigentlich ein Jazzer ist, allerdings virtuos die komplette Rockpalette beherrscht; sowie der Schlagzeuger Glenn Kotche, auch er durchaus jazzaffin und etwa durch seine Zusammenarbeit mit dem Kronos Quartett über den Tellerrand blickend. Beide spielen mit seltener Intensität, bei Cline beeindruckt die Finesse des Saitenmalträtierens, bei Kotche das Wechselspiel zwischen sanfter Grundierung und fast schon animalischer Wucht.

Die Band durchpflügte alle Schaffensperioden ihrer über zwanzigjährigen Geschichte, die sich grob gesagt zwischen Countryrock, Americanarock, Alternativerock, Independentrock und klassischen Rock bewegt. Zwischen diesen Genres liegen nicht gerade Welten, umso bemerkenswerter ist, wie die Band die Grenzen nicht nur auszuloten, sondern regelrecht abzustecken und herauszupräparieren versteht. Tweedy wandelt in den ruhigeren Momenten sachte auf uramerikanischen Pfaden, die Band landet in den strammeren Passagen bei hartem, metallischem Rock – und sie alle können unvermittelt vom einen in den anderen Gang schalten, sogar – wie sehr launig vorgeführt – mitten in den Stücken.

Fein instrumentiert ist das Ganze obendrein, grundiert von Bass und Tasteninstrumenten, getragen von den bis zu drei Gitarren, veredelt teils mit Dobro, Pedalsteel und Banjo. In einem schönen, dioramaartigen Bühnenbild musizierten sie, und was Tweedys Singstimme an Modulationsfähigkeit fehlen mag, das schließlich glich der Mann bei diesem sehr runden und vorzüglich geratenen Abend mit Charme aus.