Stefan Raab darf seinen Spieltrieb jetzt auch auf dem Feld der Politik ausleben: Platte Scherze, bunte Balkendiagramme und populistische Rhetorik prägen die Premiere des neuen Pro-Sieben-Talks „Absolute Mehrheit“.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Stefan Raab hatte sein Pro-Sieben-Format „Absolute Mehrheit – Meinung soll sich wieder lohnen“ als Neuerfindung des Polittalks angekündigt, vollmundig, wie es nun mal seine Art ist. Und Novitäten gab es tatsächlich: so breitbeinig wie der 46-jährige Entertainer ist mit Sicherheit noch kein Talkmaster auf der Coach gesessen; so jokos und unverhohlen stammtischnah sind politische Themen wohl kaum zuvor in einer TV-Talkshow verhandelt worden. „Machen Sie sich locker!“ empfiehlt der aufgekratzte Raab zu Beginn der neunzig Minuten am späten Sonntagabend seinen Premierengästen und stellt zur Unterstützung an den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU, Michael Fuchs, die Nonsens-Frage: „Herr Fuchs, wer hat die Gans gestohlen?“ Auch scheut er sich nicht, einen dümmlichen Witz auf Kosten des nicht anwesenden FDP-Vorsitzenden zu platzieren: „Wenn Rösler das beim Abendessen sieht – hoffentlich fallen ihm nicht die Stäbchen aus der Hand.“

 

Seine fünf Gäste – neben Michael Fuchs sitzen Wolfgang Kubicki (FDP), Thomas Oppermann (SPD), Jan van Aken (Die Linke) und die Unternehmerin Verena Delius als Volksvertreterin auf einer halbrunden Ledercouch, über der ein riesiger Plastik-Bundesadler schaukelt – sehen über solch peinlich-platte Scherze hinweg, schließlich sind sie gekommen, um eine gute Figur zu machen und die zum Televoting angehaltenen Zuschauer von ihren Positionen zu überzeugen. Wer die absolute Mehrheit der Stimmen erringt, erhält 100 000 Euro, so lautet die wichtigste, den Castingshows entlehnte Spielregel.

Raabs unbegrenzte infantile Freude

Originell? Innovativ? Erfrischend? Viel zu schnell stellt sich heraus, dass das Format lediglich dazu dient, Raabs unbegrenzter infantiler Freude am Wettkampf, mit der er den Sender Pro Sieben usurpiert hat („TV total“, „Schlag den Raab“, „Wok-WM“), ein neues Spielfeld zu eröffnen: die Politik. Drei Themen hechelt der Mann mit dem breiten Dauergrinsen mit den fünf Kombattanten durch: Steuergerechtigkeit, Energiewende und soziale Netzwerke; in jedes führen comicstripartige Trailer ein, die stark an Einspieler bei Kinder-TV-Nachrichten erinnern – das passt.

Danach bleibt den Kandidaten nur Zeit, möglichst plakativ-populistische Forderungen aufzustellen: Da darf etwa der Linken-Vertreter van Aken Vier-Personen-Haushalten kostenlosen Strom versprechen, die Unternehmerin Delius eine ausschließlich für Bildungsinvestitionen zu verwendende Reichensteuer gutheißen und der windschnittige, obercoole FDP-Mann Kubicki von der Regierung verlangen, den staatseigenen Energiekonzernen doch einfach Preissenkungen zu diktieren. Solch machbarkeitsferne Rhetorik quittiert das Studiopublikum mit Gejohle – auch dies ist, zugegeben, ein Novum in einer Politiksendung.

Dass er nur die zweite Garde der Politprominenz auf dem Sofa sitzen hat und es viel Hickhack um die Gästeliste gegeben hat, schmälert Raabs Enthusiasmus nicht. Am meisten Spaß scheint er daran zu haben, das Gespräch, wenn man den klamaukhaften Schlagabtausch denn so nennen mag, jäh abzubrechen, um sich mit dem Pro-SiebenSat-1-Nachrichtenchef Peter Limbourg bunte Balkendiagramme anzuschauen, die den Zwischenstand bei der Zuschauerabstimmung wiedergeben, und den Autogewinn anzupreisen. Während Fuchs und Delius früh den Anschluss verlieren, trägt Kubicki den Sieg davon, wenn auch nur einen halben: Er erhält, vor Jan van Aken, die meisten Stimmen, ohne die absolute Mehrheit zu erzielen; die 100 000 Euro wandern in den Jackpot.

Spaß haben

Raab holt sich am Schluss bei Limbourg, er ist sozusagen die Pro-Sieben-Ausgabe von Jörg Schönenborn, ein paar sauber einstudierte Komplimente ab: „Muntere Runde, viele schöne Argumente“. Und: „Sie können auch Politik“. Aber kann der Musikproduzent, Metzgerssohn und Moderator das wirklich?

Raab treibt mit „Absolute Mehrheit“ die Verknüpfung von Politik und Unterhaltung, die ja alle Talkshows betreiben, auf die Spitze, was man ehrlich und konsequent finden kann. Doch Argumente und Inhalte bleiben auf der Strecke, noch mehr als bei den etablierten Gesprächsrunden in ARD und ZDF. Zu behaupten, dass auf diese anbiedernde und substanzlose Weise das Interesse der Jungen an Politik geweckt werden könnte, ist verlogen. Wer Raab einschaltet, will nur eines: seinen Spaß haben. Knapp 25 Prozent der Unter-Dreißigjährigen haben die Premiere am Sonntag gesehen – eine Stunde früher, bei „Günther Jauch“, lag ihr Anteil bei dürftigen 4,7 Prozent.