Die Briten hoffen und die Europäische Union verhandelt bereits hinter den Kulissen über Konsequenzen des Schweizer Votums.

Brüssel - Offiziell wird abgewartet. „Wir werden uns vor Bekanntgabe des Ergebnisses nicht äußern“, sagte die Sprecherin von EU-Kommissionschef José Manuel Barroso am Freitag zur Schweizer Volksabstimmung an diesem Wochenende, die die Niederlassungsfreiheit von EU-Bürgern in der Eidgenossenschaft einschränken könnte: „Das ist die alleinige Entscheidung der Schweiz.“

 

Einen verräterischen Satz dazu, wie besorgt die Brüsseler Szene ist, hat die Sprecherin aber doch gesagt: „Wir arbeiten hart daran, eine Reaktion veröffentlichen zu können, sobald die Situation geklärt ist.“ Das heißt wohl so viel, dass die Lage ernst ist und die Behörde mit den Mitgliedstaaten bereits darüber verhandelt, wie harsch der Ton und die Konsequenzen für die Schweiz ausfallen sollen – Streit inklusive.

Die Schweiz hätte nach einem Ja noch drei Jahre Zeit

Klar ist, dass das Ziel der Volksbefragung, Einreisekontingente für Bürger bestimmter EU-Staaten einzuführen im Widerspruch zum Freizügigkeitsabkommen mit der Gemeinschaft steht. Jedoch hätte die Regierung in Bern dem Referendumstext zufolge nach einem Ja drei Jahre Zeit, um die Beschränkungen in Kraft zu setzen. Spätestens dann jedoch müsste die Schweiz das Abkommen gekündigt und möglicherweise neu verhandelt haben – wobei in Brüssel niemand sieht, wie es zwischen voller Freizügigkeit und kleinen Kontingenten Kompromisse geben könnte.

„Die einen sagen, dass sich erst einmal gar nichts verändert“, berichtet ein belgischer EU-Diplomat, „aber es gibt die andere Denkschule, die unmittelbare negative Auswirkungen für andere Abkommen mit der Schweiz sieht.“ Schon am Mittwoch etwa steht bei den EU-Botschaftern auf der Agenda, ein Verhandlungsmandat für das geplante neue Rahmenabkommen zwischen der EU und der Schweiz zu verabschieden. Bislang steht das nicht infrage, gut möglich aber, dass bei einem Ja der Eidgenossen neu beraten wird. Am Rahmenvertrag wiederum hängt das Abkommen zur Integration der Schweiz in den Energiebinnenmarkt: Brüssel sieht die Alpenseen als potenzielle Stromspeicher der Zukunft, Bern will nicht länger eine Insel sein, um die Leitungen herum gebaut werden.

Kein Regierungschef dringt so sehr auf Einschränkungen

Ganz unabhängig von den faktischen Konsequenzen jedoch gibt es die Sorge vor einem psychologischen Effekt – dass nämlich die Kritiker der Freizügigkeit, etwa in Großbritannien, Oberwasser bekommen. Kein Regierungschef dringt so sehr auf deren Einschränkung wie David Cameron. Der Premier will die EU-Partner überzeugen, dass den Briten das Recht zur Festsetzung von Obergrenzen für den Zuzug von EU-Migranten zugestanden werden muss. Die zunehmend erfolgreiche rechtspopulistische Unabhängigkeitspartei Ukip will gar alteingesessene EU-Bürger von der Insel verweisen, wenn sie nicht ihre „Nützlichkeit“ für die Wirtschaft nachweisen.

So weit geht Cameron nicht. Aber an Quoten denkt er schon. Möglicherweise, war jüngst aus dem Innenministerium zu hören, müsse man die Zahl auf 75 000 Migranten pro Jahr beschränken. Bewusst ist Cameron, dass er das nicht ohne reformierten EU-Vertrag beschließen kann. Darauf will er bestehen. Für den Fall, dass ihm die Partner nicht folgen, droht er mit einem Veto gegen jede Aufnahme neuer Staaten in die EU. Jeder vierte Brite verlangt gar den EU-Austritt, falls London nicht „volle Kontrolle über die eigenen Grenzen“ zugestanden wird.