Ärzte halten seit zwei Wochen eine Patientin künstlich am Leben, weil die Frau ein Kind erwartet und Abtreibung verboten ist. Kritiker sprechen von einer „Kirchendiktatur“.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Ums irische Abtreibungsverbot ist jetzt erneut ein bitterer Streit ausgebrochen – nachdem in den vergangenen Jahren bereits mehrere Vorfälle heiße Kontroversen entfacht, das Parlament beschäftigt und reformwilligen Politikern Morddrohungen eingetragen haben. Bei dem neuen Streit geht es um eine offenbar seit zwei Wochen hirntote Patientin in Dublin, der ihre Familie erlauben will, zu sterben. Die Ärzte der betreffenden Klinik wagen aber nicht, die Maschine, die die junge Frau künstlich am Leben hält, abzuschalten, weil die Frau in der 16. Woche schwanger und Schwangerschaftsabbruch in Irland verboten ist.

 

Einer im Vorjahr mit großer Mühe durchs Parlament gebrachten Reform zufolge ist ein Abbruch heute zwar nicht mehr vollkommen ausgeschlossen, solange eine Schwangerschaft unmittelbar das Leben der Schwangeren gefährdet oder eine Frau ernsthaft erwägt, sich umzubringen. Vielerlei juristische Riegel begrenzen allerdings die Erteilung einer Genehmigung zum Schwangerschaftsabbruch in solchen Fällen. Und vergewaltige Frauen werden weiter zum Austragen gezwungen. Auch schwer behinderte Föten berechtigen nicht zur Abtreibung.

Eine heikle Frage für die Ärzte

Denn in Irland ist ein Embryo vom Moment der Empfängnis an ein vollwertiger irischer Bürger. Sein Leben gilt von Anfang an ebenso viel wie das Leben der Schwangeren selbst. Dieses Recht haben die Iren 1983 in ihrer Verfassung verankert. Und darum ist der Fall der hirntoten Schwangeren in Dublin eine für die Ärzte so heikle Frage. Niemand weiß, ob das Leben des Fötus beendet werden darf, „nur“ weil der schwangeren Frau ein natürlicher Tod erlaubt werden soll. Ein Arzt, der eine unerlaubte Abtreibung vornimmt in Irland, riskiert immerhin lebenslange Haft.

Die Geschichte ist so heikel, dass die Gerichte diesen Montag bereits eine Nachrichtensperre verhängt haben. Auch die Politiker wagen kaum über den Fall zu sprechen. Gesundheitsminister Leo Varadkar – selbst Arzt – hat zwar im Laufe der Woche eine weitere behutsame Lockerung der irischen Abtreibungsgesetze empfohlen. Auch nach der Vorjahresreform, meinte der Minister, seien die Gesetze noch „zu restriktiv“. Auch Varadkar wagt aber keine Stellungnahme zu der betreffenden Affäre abzugeben. Dublins Oberster Gerichtshof wird in den kommenden Tagen eine Eilentscheidung fällen müssen.

Im Hungerstreik für ein Recht auf Abtreibung

Zugleich steht ein Verfahren an, in dem eine junge Ausländerin den irischen Staat verklagen will. Die Anfang dieses Jahres vergewaltigte Frau hatte damals – noch ein Teenager – verzweifelt eine Abtreibung verlangt und sich mehrfach das Leben zu nehmen versucht. Ihr Gesuch war aber abgewiesen worden. Als sie in den Hungerstreik trat, weil sie lieber sterben als das Kind austragen wollte, erwirkten die Behörden eine gerichtliche Verfügung, die ihnen die Zwangsernährung erlaubte.

Am Ende wurde das Kind – um weitere „Zwischenfälle“ zu vermeiden – zum frühest möglichen Zeitpunkt per Kaiserschnitt entbunden. Der Entbundenen ist seither in psychiatrischer Behandlung. Das Kind ist in staatliche Obhut gekommen.

Kritiker sprechen von „barbarischen Zuständen“

In einem anderen Fall war vor zwei Jahren an der Uniklinik in Galway eine in der 17. Woche schwangere indische Zahnärztin an den Folgen einer mit Blutvergiftung verbundenen Fehlgeburt gestorben. Savita Halappanavar hatte tagelang um einen Abort gefleht – was ihr verweigert worden war mit der Erklärung, dass „Irland ein katholisches Land“ sei. Der Fötus wurde erst entfernt, als unzweifelhaft feststand, dass er nicht lebte. Da war es aber schon zu spät, das Leben der Frau noch zu retten. Der Vorfall hatte in ganz Irland Aufsehen erregt. Ein Untersuchungsbericht sprach lediglich von einem „Missgeschick“, doch führte das allgemeine Entsetzen letztlich zu der zaghaften Reform des Vorjahrs, die die Koalitionsregierung aus Fine Gael und Labour gegen Widerstände auf den Weg brachte.

Gegner des Abtreibungsverbots sehen sich durch den neuesten Fall in ihrer Kritik wieder bestärkt. Sie klagen über „barbarische Zustände“ und eine „echte Kirchendiktatur“ in Irland. Eine grundsätzliche Liberalisierung der irischen Abtreibungsgesetze wäre indes nur über eine Änderung der Verfassung, also über ein neues Referendum, zu erreichen.