Dem Traditionsverein droht der zweite Bundesliga-Abstieg in der Geschichte – mit fatalen Folgen. Deshalb lautet die Frage: Wie lange darf Trainer Florian Kohfeldt noch bleiben?

Bremen - Der Bedeutungsverlust des SV Werder für den deutschen Profifußball ist nicht allein aus der Tabelle abzulesen. Als Mitte Januar Abgesandte fast aller Lizenzvereine zum Neujahrsempfang der Deutschen Fußball-Liga (DFL) in eine Offenbacher Eventlocation kamen, fehlte eine Bremer Delegation. Präsident Hubertus Hess-Grunewald und Vorstandschef Klaus Filbry – wegen des Polizeikostenstreits mit der Liga im Clinch – blieben der Veranstaltung fern. Das könnte ein Vorgeschmack sein, wenn sich ein Bundesliga-Gründungsmitglied nach 56 Jahren Zugehörigkeit verabschiedet. Vor dieser Saison lagen die Hanseaten noch auf Platz zwei der ewigen Tabelle – mittlerweile hat Borussia Dortmund, Gegner am Samstag (15.30 Uhr), mühelos das Überholmanöver vollzogen.

 

Magerste Ausbeute der Vereinsgeschichte

17 Punkte nach 22 Spieltagen sind die magerste Ausbeute der Vereinsgeschichte. Acht der vergangenen neun Bundesliga-Spiele gingen verloren. Der Pokalsieg gegen den BVB (3:2) wirkte wie ein vergeblicher Wiederbelebungsversuch. Derzeit werden die Lizenzierungsunterlagen für den Abstiegsfall erstellt. Einnahmen von mindestens 45 Millionen Euro würden fehlen, davon 30 Millionen allein beim Fernsehgeld. Trotz 157 Millionen Umsatz und 3,5 Millionen Gewinn aus der Saison 2018/2019 hat der Club kaum Eigenkapital aufgebaut. Milot Rashica wäre der allerwichtigste Verkaufskandidat. Dass aber der FC Liverpool interessiert sein soll, wirkt wie Wunschdenken.

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Werder ist nicht das erste Mal in den Abstiegskampf verstrickt. Doch in diesem Jahr nehmen die Schrecken einfach kein Ende: Der Verlust von Max Kruse, die Verletzungsprobleme und die Mannschaft, die den Überlebenskampf immer noch nicht mit jeder Faser angenommen hat, bilden eine verhängnisvolle Mixtur. Nun bricht die ausgeliehene Abwehrstütze Kevin Vogt wegen einer Sehnenblessur mindestens zwei Spiele weg. Hoffnungsschimmer sind bei den Grün-Weißen kaum zu erkennen. Trainer Florian Kohfeldt versuchte sich dennoch auf der Pressekonferenz wieder als Mutmacher: „Dortmund ist haushoher Favorit, und Haaland vermutlich einer der besten Stürmer der Welt, aber unser Glauben geht nie weg. Das Pokalspiel kann uns das Gefühl geben, dass wir unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit haben, sie zu ärgern.“ Er erkenne eine gesteigerte Trainingsqualität, die sich irgendwann auch im Ergebnis widerspiegeln werde. „Unser Problem ist, dass wir nur noch wenig Zeit haben.“

Es droht der zweite Abstieg nach 40 Jahren

Nostalgiker graut es bei der Vorstellung des zweiten Abstiegs nach 40 Jahren. In der Partie Werder gegen Dortmund fiel am 24. August 1963 das erste Tor der Bundesliga-Geschichte, als BVB-Stürmer „Timo“ Konietzka nach 35 Sekunden traf. Keine Fernsehkamera hielt den historischen Moment fest. Heutzutage entgeht dem Zuschauer nicht mal, wenn Kohfeldt das nächste Kaugummi aus der Hosentasche fingert, weil er wütend das erste weggefeuert hat. Zuletzt in Leipzig (0:3) schien sich die wenig geschmackvolle Prozedur in Endlosschleife zu wiederholen. Seine anschließende Analyse („Wir haben uns gewehrt“), brachte dem 37-Jährigen nicht zum ersten Male den Vorwurf der Schönrednerei ein. Fehleinschätzungen ziehen sich durch die sportliche Leitungsebene, in der auch Sport-Geschäftsführer Frank Baumann keine gute Figur macht.

Der Kapitän von Werders Meisterelf 2004 hat einen wenig widerstandsfähigen Kader gebaut, in dem schwächelnde Leistungsträger (Davy Klaassen, Yuya Osako, Nuri Sahin), überschätzte Jungstars (Maximilian und Johannes Eggestein, Josh Sargent) und kaum bundesligataugliche Mitläufer (Marco Friedl) auf Talfahrt oder Tauchstation gegangen sind. Welchen Anteil der 2018 noch zum Trainer des Jahres gekürte Kohfeldt am Formverlust trägt, wird in den Kneipen im Bremer Viertel durchaus kontroverser diskutiert als auf der Werder-Geschäftsstelle.

Bode steht hinter Kohfeldt

Neben den Geschäftsführern steht auch Aufsichtsratschef Marco Bode bisher bedingungslos hinter Kohfeldt. So leicht wollen die Bosse nicht mit ihrem Bekenntnis zu einem im eigenen Verein entwickelten Übungsleiter brechen. Doch Kohfeldt hat bereits so viele Knöpfe gedrückt, dass nicht mehr viel infrage kommt. Am Osterdeich wird nun gemunkelt, dass gegen Dortmund noch mal eine Niederlage erlaubt ist, aber eine Doppelpleite gegen Eintracht Frankfurt in der Liga (1. März) und Pokal (4. März) den Chefcoach dazu animieren könnte, von sich aus die Reißleine zu ziehen.

Seinen Vertrag hat der Verein übrigens mal vorsorglich bis 2023 verlängert, weil angeblich auch Dortmund über den von Klopp-Berater Marc Kosicke betreuten Kohfeldt als langfristige Trainerlösung nachgedacht hätte. Planspiele, die sich im Februar 2020 erledigt haben dürften.