Die australische Rockband AC/DC macht auf ihrer Oper-Air-Tour Station am Hockenheimring. Rund Hunderttausend waren dabei.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Gott schuf aus dem Chaos Ordnung, bei den Teufelskerlen ist es gerade andersherum. Bald halb zwei in der Nacht ist es, als der Wagen vom eigentlich nur eine gute Stunde Autofahrt entfernten Hockenheimring wieder in Stuttgart einrollt. Rennsport geht anders. Das liegt zum einen am dilettantischen Vorgehen der keineswegs sparsam zusammengestellten, sondern vielmehr in Divisionsstärke präsenten Sicherheitskräfte am Motodrom, die allerdings mehrheitlich dummerweise weder über Orts- noch Sachkenntnis verfügen. So steht man also nach Konzertende erst hier, dann dort wartend herum. Mal wird einem an dieser Stelle von planlos nach Hilfe telefonierenden Menschen der Durchgang zum Parkplatz verweigert, mal erhält man an jener Stelle alles andere als zielführende Wegbeschreibungen. Und hüben rollt man gerade im Schneckentempo über den Motorsportring, während drüben die sich stauende Kraftfahrzeugwarteschlange wächst, weil sie zielgenau in einen endlosen Zug abströmender Besucher hineingelotst wurde.

 

All das liegt in erster Linie am immensen Zuspruch, den das Baden-Württemberg-Gastspiel der australischen Rockband AC/DC hervorgerufen hat. Hunderttausend, und wir lassen es uns gerne wiederholend auf der Zunge zergehen: Hunderttausend Besucher sind zu diesem Konzert gekommen. Einmalig. Unerreicht. Selbst im Zirkel der ganz großen Megastars. Kein Bon Jovi, kein U2, kein Robbie Williams und keine Madonna versammeln eine derart große Menschenmenge zu einem Auftritt, der obendrein ja mitnichten ein singuläres Ereignis ist.

Zwei Konzerte in Deutschland liegen bereits hinter der Band sowie das mit 120 000 Zuschauern größte jemals in Österreich über die Bühne gegangene Gastspiel, zwei Auftritte im Münchener Olympiastadion folgen diese Woche noch und anschließend vier weitere Termine in Deutschland – alles Open-Air-Konzerte, versteht sich, denn die Halle, die diese Band fassen könnte, müsste erst noch gebaut werden.

Nur wenige Songs aus dem aktuellen Album

Es gibt sie eben noch, die guten Dinge, und ihren konservierten Charakter verdanken sie just dem Umstand, dass an ihrer Blaupause nie etwas geändert worden ist. Wie zum Beleg läuft es gerade so auch bei AC/DC am Hockenheimring. Die Abfolge der Songs ist identisch mit jener der Konzerte in den Tagen zuvor. Sie besteht aus dem beliebt-berühmt-berüchtigten Wechselspiel, das obligatorisch einige der Songs aus dem aktuellen Album mit ganz vielen Klassikern paart. „Rock or bust“ vom gleichnamigen neuen Longplayer kommt – auch das eine bewährte Konzertroutine – gleich als Eröffnungsstück, später dann noch „Play Ball“ und „Baptism on Fire“, womit die vermeintliche Pflicht der Albumvorstellung abgehandelt wäre. Der Rest besteht aus Evergreens.

Fast wohldosiert geht es dabei durch die vier Jahrzehnte Bandgeschichte. „Hell ain’t a bad Place to be“, „Back in Black“ und „Dirty Deeds done dirt cheap“ zu Beginn des Konzerts, „High Voltage“, „T.N.T.“ sowie das nach wie vor göttliche „Whole lotta Rosie“ zum bald vorläufigen Ende. Fast wohldosiert, weil „Thunderstruck“ die einzige Hervorbringung aus jüngerer Zeit ist, die gespielt wird. Ein immerhin bemerkenswertes Indiz für die starke These, dass sich diese Band mit dem 1981 erschienenen Album „For those about to Rock“ eine Zäsur geleistet hat. Es markierte einen Stilwechsel vom Hardrock zum Bombastrock, richtig Bleibendes kam danach nicht mehr.

Das Lied „For those about to Rock (we salute you)“ kommt traditionell zum Abschluss eines jeden AC/DC-Konzerts, und so auch in Hockenheim. Dazu, ebenfalls althergebracht, gibt es das Abschlussfeuerwerk. Es fällt sparsamer aus im Vergleich zum letzten Konzert an gleicher Stelle vor sechs Jahren. Es schließt auch keinen Abend ab, der von brillanter Soundqualität geprägt wäre; viel zu höhenlastig ist der Klang, trotz enormer Lautstärke entfaltet er nicht hinlänglichen Druck, beißt regelrecht in den Ohren. Ebenfalls im Unterschied zu vergangenen Gastspielen geizt der Sänger Brian Johnson extrem mit seinen Ansagen, von ein paar „Thank yous“ abgesehen redet er vielmehr gar nicht. Die Bühne schließlich reicht auch nicht an das Bild von der letzten Tournee heran, als eine mächtige Lokomotive die Szenerie dominierte – diesmal sieht das alles vergleichsweise karg aus.

Plastikteufelshörnchen im Haar

Dienst nach Vorschrift also? Ja und nein.

Ja, weil es dann doch ein ganz schön gerupfter Rumpf ist, der von AC/DC verblieben ist. Ein einziges Gründungsmitglied ist noch dabei, der Gitarrist Angus Young. Er, der – bitte nicht schmunzeln – gerade sechzig Jahre alt geworden ist und noch immer in einer Schuluniform antritt vor einem gediegen mitgealterten Publikum in mittlerweile leidlich ausgewaschenen AC/DC-T-Shirts, darunter Frauen und Sprösslinge die sich ulkig leuchtende Plastikteufelshörnchen ins Haar gesteckt haben. Allerdings entblößt Young den Oberkörper zum Finale nicht mehr komplett, und auch sein obligatorisches Gitarrensolo beim letzten Lied „Let there be Rock“, das vor der abschließenden Zugabe kommt, fällt nicht mehr so orgiastisch aus, wie es bei dem jetzt recht schütter behaarten Mann einst der Fall war.

Cliff Williams, der Langzeitbassist seit 1977, erledigt gewohnt stoisch seinen Job. Brian Johnson, der vor 35 Jahren seinen Vorgängersänger Bon Scott ersetzt hat, brüllt wie ehedem, allein schon, weil ruhige Nummern wie das famose „Ride on“ nicht auf dem Programmzettel stehen. Und die krankheitshalber, beziehungsweise wegen Rechtsstreitigkeiten fehlenden Malcolm Young und Phil Rudd werden kommentarlos durch den nun Rhythmusgitarre spielenden Neffen Stevie Young und den Altschlagzeuger Chris Slade ersetzt.

Und nein, weil dort die nach wie vor beste Hardrockband aller Zeiten auf der Bühne das abbrennt, was man wohl ein Feuerwerk ihrer größten Hits nennen darf. Und das zündet noch immer bestens. Vielen Dank also, mal wieder, für diese Stippvisite.