Das geplante Acta-Abkommen bringt Netzaktivisten gegen Industrie und Politik auf. In der Politik haben die Proteste bereits Wirkung gezeigt.  

Stuttgart - Mehr als zwei Millionen Menschen haben inzwischen eine Online-Petition gegen das multinationale Antipiraterie-Abkommen Acta unterzeichnet. Am Wochenende gingen zudem Zehntausende in Deutschland auf die Straße, nachdem sich der Protest zunächst auf Polen, Bulgarien, Lettland, Rumänien und Tschechien beschränkt hatte. Die EU und 22 ihrer Mitgliedsstaaten sowie die USA und einige weitere Länder haben Acta unterzeichnet – Deutschland bisher nicht. Das Abkommen wendet sich primär gegen Produktpiraterie und führt strafrechtliche Sanktionen für Marken- und Urheberrechtsverletzungen ein, sofern sie im „gewerblichen Ausmaß“ begangen werden.

 

Dabei sollen auch diejenigen bestraft werden, die "Beihilfe" geleistet haben - etwa Internetprovider, die keine Gegenmaßnahmen getroffen haben. Sollte Acta in Europa ratifiziert werden, würde sich das EU-Recht ändern, da es Internetprovider bis jetzt von der Haftung ausnimmt. Das Vertragswerk gilt unter Experten als wenig gelungene Lösung, da es auf der internationalen Ebene nicht verankert ist, sondern eine zwischenstaatliche Lösung darstellt. Das kann zu Konflikten mit anderen Verträgen führen, die von der internationalen Urheberrechtsorganisation WIPO geschlossen worden sind. Ein Beispiel dafür ist die Nutzung generischer Medikamente.

Acta zeigt schon vor seiner Ratifizierung Folgen

Die bisherigen internationalen Regelungen sind so flexibel, dass Entwicklungsländer solche Nachahmerarzneien etwa im Kampf gegen Aids nutzen dürfen. Diese Freiheit soll Acta wieder beschränken. Das kritisiert beispielsweise der französische Abgeordnete Kader Arif, der als Verhandlungsführer im Europäischen Parlament den Vertrag bestens kennt. Er befürchtet, dass Pharma-Unternehmen nun nach Inkrafttreten von Acta das Verschiffen generischer Medikamente in Entwicklungsländer verhindern, ja sogar ihre Vernichtung gerichtlich anordnen lassen können.

Acta zeigt schon vor seiner Ratifizierung Folgen: Die EU-Kommission will jetzt die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte an immateriellen Güter verschärfen. Und das Bundeswirtschaftsministerium kündigte vergangene Woche an, an einer gesetzlichen Regelung zu arbeiten, die Warnhinweise für Urheberrechtsverletzer im Internet verpflichtend macht. Nach Vorstellung der EU-Kommission sowie des Bundeswirtschaftsministeriums sollen Internetprovider Nutzerdaten herausgeben, wenn die Verstöße ein "gewerbliches Ausmaß" erreichen. Gegner kritisieren, dass die Verfolgung von Urheberrechtsverstößen damit weitgehend in private Hände gelegt - und kaum kontrolliert wird.

Stärkere Kontrollen an Grenzen?

Kader Arif sieht auch stärkere Kontrollen an Grenzen auf Reisende zukommen: Personen, die auf ihren Laptops Filme oder Songs speichern, könnten unter Verdacht geraten, befürchtet er. Die EU-Kommission will noch eine Definition finden, um zwischen professionellen Fälschern und Verbrauchern zu unterscheiden.

Die Verhandlungen über Acta begannen bereits 2008 auf Initiative der USA und Japan. Zunächst verhandelten die Länder mit der Europäischen Union und der Schweiz, später stießen Kanada, Australien, Jordanien, Mexiko, Marokko, Neuseeland, Südkorea, Singapur und die Vereinigten Arabischen Emirate dazu. Acta (die Abkürzung steht für Anti-Counterfeiting Trade Agreement, Handelsabkommen zur Abwehr von Fälschungen) stand lange wegen seines intransparenten Aushandlungsprozesses unter Kritik. Parlamente wurde nicht oder nur sehr zögernd informiert. Vertreter der Pharmabranche sowie der Unterhaltungs- und Softwareindustrie waren hingegen durch die Delegation der USA bei den Verhandlungen anwesend und hatten Zugang zu allen Dokumenten, kritisiert der Verein Lobbycontrol. Ausgerechnet das zuständige Referat für Urheberrecht der EU-Kommission ist außerdem mit einer ehemaligen Lobbyistin des Musikindustrieverbands IFPI besetzt. Jetzt versuchten die Verbände eine rechtliche Vorabprüfung durch den Europäischen Gerichtshof zu verhindern, die einige Abgeordnete im Europaparlament anstrengen.

Abstimmung im Europaparlament könnte knapp ausgehen

In der Politik haben die Proteste von Netzaktivisten, die ihre Freiheit bedroht sehen, Wirkung gezeigt. Die in Deutschland zuständige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) will nun die Abstimmung im Europaparlament abwarten und hat schon am Freitag die Unterzeichnung ausgesetzt.



Die Abstimmung im Europaparlament könnte äußerst knapp ausgehen. Bisher haben sich die Linken und die Grünen gegen das Abkommen ausgesprochen, die Sozialdemokraten zeigen sich ebenfalls skeptisch. Auch einige unabhängige sowie europakritische Abgeordnete wollen dagegen stimmen. "Das Zünglein an der Waage sind derzeit die unentschlossenen Liberalen", sagt der fraktionsfreie EU-Abgeordnete Martin Ehrenhauser.