An der Oper Stuttgart ist der Bach-Abend „Actus tragicus“ wieder zu erleben.

Stuttgart - Sie sind wieder da. Der bügelnde Countertenor mit den Lockenwicklern im Haar. Der Mann, der ständig auf die Uhr schaut. Der Mann, der alle Räume ausmisst. Der Sterbende. Das Liebespaar. Die Braut, die ihr Brautkleid erst anzieht und es sich dann vom Leibe reißt. Der Postbote. Die Frau, die den Weihnachtsbaum schmückt. Der unermüdliche Turner. Eine eitle Dame, die ein Kleid nach dem anderen anprobiert. Die Familie beim Essen. Der Mann, der Kreuze an die Wände hängt und sie später wieder abnimmt. Eine Frau mit Maske: die Tödin. Und unter allen: die Leiche im Keller.

 

Gott ist tot. Sein Haus steht zwar noch, doch dem Leben der Menschen darin ist der Sinn abhanden gekommen: Verzweifelt, dumpf oder von Zwängen getrieben, wiederholen und variieren sie in vielen Zimmern und Fluren immer und immer dasselbe, und weil dazu sechs Bach-Kantaten erklingen, die den Mammon verdammen und an das Ende des Lebens erinnern, ist das Opernhaus durchweht von Trauer und von Ironie. Den Abend „Actus tragicus“ des früh verstorbenen genialen Regisseurs Herbert Wernicke, im Jahr 2000 am Theater Basel herausgebracht, hat Albrecht Puhlmann als Intendant 2006 nach Stuttgart geholt; an der Oper Stuttgart ist er jetzt wieder zu erleben, und er ist noch immer überwältigend.

Das liegt am Staatsorchester, das, durchsetzt mit historischem Instrumentarium (Lauten, Gamben, Zink) unter Ilan Volkovs präziser Leitung sehr wach und klar musiziert. Es liegt an der zeitlich gut getakteten Wiedereinstudierung, die Nina Dudek verantwortete. Es liegt an einem Staatsopernchor, der trotz seiner weiten Verteilung im mehrstöckigen Bühnenhaus und trotz zuweilen vernehmbaren Sopranflatterns in der Höhe selbst heikelste Polyfonie sicher auf den Punkt bringt. Unter den Solisten glänzen allem die Sopranistin Josefin Feiler und die beiden Tenöre Michael Nowak und Martin Petzold, und wenn die Chor-Altistin Cristina Otey am Ende die Stimme des in der Höhe verblassten Countertenors Kai Wessel mitsingt, dann ist das selbst dann noch reines Glück, als am Ende zum wiederholten „Mensch, du musst sterben“ der titelgebenden Kantate ein Darsteller nach dem anderen die Bühne verlässt. Das „Komm, Jesu, komm“ verhallt ungehört.

Termine 1., 5., 12. Und 15 April