Am Sonntag kommt in der Stuttgarter Oper der Doppelabend „Boris“ heraus: Mussorgskis „Boris Godunow“, kombiniert mit der Neukomposition „Secondhand-Zeit“ von Sergej Newski. Adam Palka singt die Titelpartie und ist gespannt auf das Wagnis.

Stuttgart - Freunde, nicht diese Töne! Bei den Stuttgarter Philharmonikern hat Adam Palka zum Jahreswechsel im letzten Satz von Beethovens 9. Sinfonie das „Freude, schöner Götterfunken“ eingeleitet: mit Donnerworten und mit einer Stimme, die in den Saal fuhr wie der Strahl einer Bassposaune. So kennt auch das Stuttgarter Opernpublikum den Sänger, der seit 2013 Ensemblemitglied ist. Mozarts Leporello hat er hier gegeben, Alidoro in Rossinis „La Cenerentola“, Sir Giorgio in Bellinis „Puritanern“, aber vor allem als Mephisto in Frank Castorfs grandios verwirrender Inszenierung von Gounods „Faust“ hat ihn das Publikum bejubelt: als Sänger mit schönem, geschmeidigem Timbre, aber auch als Darsteller mit virtuos doppelbödigem, durchgestyltem Minenspiel, das Castorf sogar von Videokameras einfangen und in riesiger Vergrößerung auf die Bühne projizieren ließ.

 

„Ich spiele gerne böse Menschen“, sagt Adam Palka, „weil das weit weg ist von meinem eigenen Leben“. Außerdem mache es ihm Spaß, mal für drei Stunden jemand anderes zu sein, „auch mal ein richtig schlechter Mensch, ohne jemandem zu schaden“. Ein bisschen sei das wie ein Kinderspiel – „das liebe ich!“. Im Übrigen halte er es mit dem Schauspielprofessor, der ihn an der Musikhochschule von Danzig unterrichtete: Alle Emotionen, habe der ihn gemahnt, müssten aus ihm selbst kommen. „Jeder Sänger“, folgert Palka, „muss ein bisschen exhibitionistisch sein.“

Zwei Stücke werden zu einem

Am Sonntag wird der 36-Jährige die Titelpartie bei einem sehr besonderen Doppelabend der Staatsoper singen, der Modest Mussorgskis sehr rohe Urfassung des „Boris Godunow“ mit Abschnitten aus „Secondhand-Zeit“ der weißrussischen Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch verknüpft, vertont vom russischen Komponisten Sergej Newski (Jahrgang 1972). Ein Experiment – „aber genau dafür ist Kunst doch da. Sie muss auch provozieren. Etwas von unserem Spiel soll in den Leuten bleiben.“

Adam Palka liebt den Zauber des Livetheaters zu sehr, um vor der Premiere zu viel zu verraten. Nur so viel: Zunächst sei er skeptisch gewesen; Regisseur Paul-Georg Dittrich habe jedoch „eine großartige Lösung“ gefunden, um die beiden Stücke zu einem einzigen zu machen. Sergej Newski habe eine andere musikalische Sprache als Mussorgski, aber er nehme dessen Themen auf, und in der Handlung, die sich auch im Theaterraum ereignet, verbänden sich Neues und Altes in einer Weise, die den Tod des Titelhelden noch zwingender erscheinen ließe. „Wir sehen“, so Palka, „keinen Blick in die zaristische Vergangenheit, keine Bolschoi-Inszenierung von 1955, sondern eine Welt der Zukunft. Boris ist der mächtigste Politiker des Landes, und man erlebt, wie er kämpfen muss, worüber er verzweifelt und wie die Politik in sein Privatleben eingreift.“

Der Mann fürs Live-Theater

Boris Godunow ist eine Traumpartie für einen Bass. Ein Sänger, der sie singt, mag man denken, muss sie schon früh in den Blick genommen haben. Bei Adam Palka ist das anders. Gerne erzählt er von seiner Kindheit im polnischen Walbrzych (Waldenburg): von seinem Jugendtraum, Schauspieler zu werden, „aber nicht im Film, sondern im Theater, denn dort herrscht eine besondere Energie“; vom Musikgymnasium, wo er erst Cello spielte, dann technische Probleme bekam („Ich wollte kein mittelmäßiger Cellist sein“) – und von der Musiklehrerin, die ihn, der erst als 18-Jähriger mit dem Singen begann, auf die Aufnahmeprüfung an der Danziger Musikhochschule vorbereitete.

Palka bestand. Was der Sängerberuf bedeutet, wusste er damals noch nicht: „Ich dachte, ich fange einfach mal an.“ Auch der Oper war er vor Studienbeginn noch nie live begegnet. Aber was muss das für ein „Rigoletto“ gewesen sein, der ihn in Danzig entflammte! Der Herzog war ein Mafiaboss, Rigoletto der Pate. Klar, dass man da Lust bekommt, den bösen Sparafucile zu singen, oder? Palka lacht.

Seit 2013 ist Adam Palka Ensemblemitglied in Stuttgart

Der Mann hat wahrscheinlich auf alles Lust. So zumindest nimmt man ihn wahr, wenn er auf der Bühne singt. Dieser Eindruck mag ausschlaggebend gewesen sein, als ihn die frühere Stuttgarter Operndirektorin Eva Kleinitz 2013 engagierte. Zuvor war er von Francisco Araizas Zürcher Opernstudio zum Erstengagement an die Deutsche Oper am Rhein gewechselt und hatte dort mit dem fünften Juden in „Salome“ begonnen. In Stuttgart – „ein großes Haus, aber sehr familiär“ – fühlte sich Palka rasch wohl, hier entsprachen sich auch die Vorstellungen des Sängers und der Intendanz von Palkas zukünftigem Repertoire: Verdi soll ein Schwerpunkt sein, italienischer Belcanto, Französisches und irgendwann, „vielleicht in fünfzehn, zwanzig Jahren“, auch mehr von Wagner als nur kleinere Partien.

Und jetzt eben „Boris Godunow“ – mit einem Regisseur, der offenbar versteht, dass Oper anders ist als Sprechtheater. Und dass „ein technisch guter Sänger auf der Bühne fast seinen ganzen Körper braucht, also als Schauspieler rein körperlich nicht alles machen kann“. Intelligenz, sagt Palka, ist nur eine Eigenschaft, die ein Opernregisseur haben muss. Noch wichtiger sei es, die Musik zu kennen und den Text zu verstehen, und zwar nicht nur sinngemäß, sondern Wort für Wort.

Ach ja, Adam Palka sagt auch noch: „Ein echter Bass ist erst mit vierzig Jahren gereift“. Für das Publikum übersetzt: in ebenjenem Alter, in dem der Schwabe klug wird. Darüber wird man in vier Jahren reden müssen. „Gerne“, sagt der Sänger und gähnt. Er bittet um Entschuldigung, er sei ein wenig müde: Seine Kinder, eines vier Jahre alt, das andere elf Monate, haben ihn nicht ausschlafen lassen. Aber wie schön es doch sei, eine Familie zu haben! Wenn er nach einer Premiere heimkomme, stolz, voller Adrenalin, in Hochstimmung, und seine Frau ihn bitte, doch schnell noch die Wäsche in den Keller zu bringen, dann findet Palka das richtig gut. Bloß nicht abheben! Für einen Bass könnte es kein passenderes Motto geben.