In der Zeit bis Weihnachten öffnen wir jeden Tag ein Türchen zu einem interessanten Ort in der Region Stuttgart. Am 1. Dezember sind wir in der Großbäckerei für arabisches Fladenbrot in Esslingen. Die Brote von hier gehen zu Imbissen und Supermärkten in ganz Süddeutschland und der Schweiz.

Kultur: Kathrin Waldow (kaw)

Esslingen - Die Großbäckerei von Abdel Razzak Al-Khakani steht mitten im Esslinger Industriegebiet. Die vielen Transporter mit dem kleinen Logo FS Fladenbrot für Fladenbrot Stuttgart laden an der Rampe kistenweise Backwaren für Süddeutschland und die Schweiz ein. Hinter den dicken Stahltüren an der Laderampe verbirgt sich eine echte Erfolgsgeschichte: Die von Al-Khakanis arabischem Fladenbrot, das an Imbissen und in Supermärkten in Süddeutschland und der Schweiz verkauft wird. Gleichzeitig ist es auch die Erfolgsgeschichte eines irakischen Einwanderers, der ein Stück seiner Kultur in die neue Heimat gebracht hat.

 

„Angefangen habe ich 2005 in Wernau mit fünf Angestellten“, erzählt Al-Khakani. Der 57-Jährige hat in den 1980er-Jahren in Deutschland und Russland Wirtschaftswissenschaften studiert. Seit 1986 lebt er im Kreis Esslingen und hat in seinem Beruf bei verschiedenen Betrieben gearbeitet. „Es ist allerdings schwer, als Ausländer hier in größeren Betrieben Fuß zu fassen“, sagt der Unternehmer. Als es irgendwann in Deutschland zu einer Mode wurde, in arabischen Ländern Urlaub zu machen, habe er dann alles auf eine Karte gesetzt, sein Haus im Irak verkauft und das Geld hier investiert. „Ich dachte, dass mit dem Interesse für arabische Länder auch das Interesse am Essen aus diesen Ländern steigen könnte“, so Abdel Razzak Al-Khakani.

Vom Wirtschaftswissenschaftler zum Großbäcker

Sein Plan ging auf: Aus der kleinen Backstube in Wernau ist eine Großbäckerei in Esslingen geworden. Seit 2010 werden fast rund um die Uhr die dünnen Fladenbrote in Esslingen-Zell gebacken. „Mittlerweile habe ich 33 Mitarbeiter. Wir backen in zwei Schichten. Die Fahrer fangen um 4 Uhr morgens damit an, die Ware in einem Umkreis von 200 Kilometern auszufahren. Alle wollen ihr Brot früh haben. Und Frische ist eines unserer wichtigsten Qualitätsmerkmale“, so Al-Khakani, der voller Stolz durch seine Bäckerei führt.

Das Herz der Backstube ist die Backstraße. Die hat Al-Khakani extra aus dem Libanon importieren lassen. Den Teig bereitet der Schichtführer Kaslim Mal zu. Hunderte Kilo Mehl verarbeitet er täglich mit Zucker, Salz, Hefe und Wasser zu einer dicken Masse. Nach einer kurzen Ruhezeit kommt der Teig auf die Backstraße – von da an läuft alles vollautomatisch: Kleine Portionen austanzen, flach walzen, ein paar Sekunden in den heißen Ofen, abkühlen. Schon werden die Fladenbrote à sechs Stück verpackt. Das läuft händisch ab. Mindestens vier Mitarbeiter pro Schicht stehen am Ende der Straße und verteilen die Brote in Tüten. „Wir haben normale Verpackungen in Plastiktüten, darin sind die Brote fünf Tage haltbar. Die vakuumverpackten Fladenbrote sind länger haltbar und gehen hauptsächlich an eine Supermarktkette in der Schweiz“, so der Unternehmer.

Abnehmer sind Imbisse, Supermärkte und Flüchtlingsheime

Mittlerweile habe er rund 350 Kunden, 35 Prozent seiner Produktion gingen in die Schweiz. Der Rest an Supermärkte, Döner- und Imbissbuden in Karlsruhe, Ulm, Freiburg, Schwäbisch Gmünd, Tübingen und natürlich den Raum Stuttgart – hier dürften der Falafelimbiss Vegi und der libanesische Imbiss Beirut zu seinen bekanntesten Kunden gehören. Ein weiterer Abnehmer sind laut Al-Khakani seit ein paar Jahren auch soziale Einrichtungen wie Flüchtlingsheime. „Als die Notunterkünfte in Stuttgart eingerichtet wurden, waren die Malteser einer unserer Großkunden“, erzählt er. Heute gehe ein Großteil der Brote noch immer zu Einrichtungen nach Karlsruhe und Schwäbisch Gmünd. Doch es kommen auch viele Flüchtlinge direkt zur Großbäckerei ins Industriegebiet nach Esslingen-Zell.

Zum einen, um in dem kleinen Laden mit arabischen Produkten einzukaufen, den Al-Khakani in der Halle neben seiner Backstube betreibt. Zum anderen aber auch, um ihn direkt nach Arbeit zu fragen. Weil er selbst weiß, wie schwer es sein kann, in einem fremden Land Boden unter den Füßen zu bekommen, hat er auch Migranten bei sich eingestellt. „Einige Mitarbeitern sind schon sehr lange Wegbegleiter von mir, anderen habe ich durch einen Arbeitsvertrag zu einer Aufenthaltsgenehmigung verholfen“, sagt er und erzählt die Geschichte seines Schichtführers Mal: „ Er kam sehr oft zu uns, hat Fladenbrot gekauft und hat nach Arbeit gefragt. In Syrien hat er in Großbäckereien gearbeitet und viel Erfahrung gesammelt. Heute leitet er meine Backstube“, erzählt er. „Was aber in erster Linie für mich zählt, ist, dass sich meine Mitarbeiter mit dem Produkt auskennen. Und das ist eben bei jemandem aus Syrien, aus dem Iran oder Irak so, weil die Person mit dem Brot aufgewachsen ist und weiß, worauf es dabei ankommt“, meint der Fladenbrot-Chef.

Brot als Kulturvermittler

Einen kleinen Beitrag zur kulturellen Annäherung leistet er mit seiner Bäckerei auch: „ Ich finde, das Brot bringt die Menschen näher zusammen, Essen verbindet schließlich und wer etwas in unserem Fladenbrot probiert, Falafel, Shawarma, Gemüse – oder etwas Süßes – der probiert gleichzeitig auch ein Stück arabischer Kultur.“ Am Anfang sei es zwar schwer gewesen, Deutsche von dem dünnen Brot zu überzeugen, mittlerweile seien jedoch 50 Prozent seiner Kunden Deutsche, erzählt er mit Freude in den Augen.

Alle Geschichten aus unserer Serie sind nach und nach hier zu lesen: http://www.stuttgarter-zeitung.de/thema/adventskalender