In unserem Adventskalender öffnen wir jeden Tag eine spannende Türe für Sie. Am 13. Dezember sind wir in einer Wohngemeinschaft in Bietigheim. Dort leben Deutsche und Flüchtlinge aus Syrien zusammen.

Bietigheim-Bissingen - Dass die Integration von Flüchtlingen in Deutschland eine Mammutaufgabe ist, liest man überall. Dass sie vor allem über Arbeit funktionieren soll, auch. Dass auch eine andere Variante zum Erfolg haben kann, hat der Student Samuel Hayer bewiesen: Der 24-Jährige hat vor zwei Jahren eine Wohngemeinschaft in Bietigheim-Bissingen gegründet, in der Deutsche und Flüchtlinge aus Syrien gemeinsam wohnen. „Ich hatte einfach das Bedürfnis, mehr zu tun“, sagt Samuel Hayer.

 

Hayer studiert Soziale Arbeit und Diakoniewissenschaften an der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg. Nebenher leistete er ehrenamtliche Besuchsdienste in Flüchtlingsunterkünften. Ein Besuch in einer großen Notunterkunft für Flüchtlinge im Landkreis habe ihn derart geschockt, dass er sich zu seinem ungewöhnlichen, und christlich motivierten, Projekt entschloss. „Jesus hat auch gesagt: ‚Ich bin fremd gewesen und ihr habt mich aufgenommen’.“ So will Samuel Hayer es auch mit Menschen machen, die nach Deutschland geflohen sind.

Zusammenwohnen auf Augenhöhe

Hayers These: „Durch das Zusammenwohnen funktioniert die Integration besser.“ Es gehe nicht nur um eine andere Form der Unterbringung, sondern auch darum, den Alltag gemeinsam zu bewältigen. Und um eine „seelisch-emotionale Integration“. „Wir sind füreinander da und wohnen auf Augenhöhe zusammen.“

Außer Hayer wohnen noch zwei junge Deutsche und zwei junge Syrer in der WG. Ammar Al Satef ist 18 Jahre alt, er kam vor zwei Jahren alleine von Aleppo nach Deutschland, derzeit macht er einen Deutschkurs in Ludwigsburg. Sein Ziel ist das Sprachniveau C1, um danach Abitur machen zu können. Seine Eltern sitzen in der Türkei fest. Der unbegleitete, damals noch minderjährige Flüchtling erzählt von den Bleiben, in denen er bisher untergebracht war: Eine Notunterkunft in Karlsruhe, drei Personen pro Zimmer, keine Betten, nur Matratzen auf dem Boden. „Das ist überhaupt nicht mit dieser WG zu vergleichen.“

Das Essen ist exotischer als in anderen WGs

In der Wohngemeinschaft bekommt Ammar Al Satef das, was ihm bislang in Deutschland versagt blieb: Anschluss. Abends sitzen die Jungs beisammen, kochen gemeinsam, üben Gitarre oder spielen Playstation – was man eben in einer Wohngemeinschaft eben so macht.

Nur das Essen ist exotischer als in manch anderer WG. An diesem Abend gibt es Bamje, ein arabisches Gericht mit Rindfleisch, Tomaten und Okras. Gekocht hat es Khidr Abdullhabib, er ist 19 Jahre und kommt aus der ostsyrischen Stadt Deir-el-Zor, zurzeit macht er einen Deutschkurs in Bietigheim. „Es ist fast wie eine Familie hier“, sagt er. Seine eigene Familie kann er nicht sehen, seine Eltern sind noch in Syrien. Wenn er sie treffen wollte, müsste er in den Sudan fliegen. Dorthin könnten auch sein Vater und seine Mutter kommen.

Klebezettel pappen in der ganzen WG

Am Anfang halfen ihm seine Mitbewohner beim Deutschlernen, indem sie kleine Klebezettel mit den deutschen Begriffen auf alle möglichen Gegenstände in der Wohnung pappten. Mittlerweile kommen die jungen Männer ohne diese Übersetzungen klar. Ammar Al Satef ist froh, dass er hier eine Bleibe gefunden hat: „Mein Ziel ist es, zu zeigen, dass das Wohnen zusammen mit Flüchtlingen funktioniert.“

Dabei war das Projekt zu Beginn alles andere als gesichert: Als Samuel Hayer beschloss, die WG zu gründen, musste er zusammen mit seinem Mitbewohner Micha Neubacher (25) viele Absagen einstecken. Über 100 Schreiben in sieben Monaten verschickten die beiden an potenzielle Vermieter. „Es wurde immer dann schwierig, wenn wir sagten, dass auch Flüchtlinge in der WG wohnen sollen“, erzählt Hayer. Neubacher ergänzt: „Und dann auch noch mit Studenten – das war die Todes-Kombination“. Erst als eine freie Christengemeinde in Bissingen von dem Projekt erfuhr, fand sich ein Unterstützer: Peter Dürrstein, der Geschäftsführer von Dürr Optronik, stellte dem WG-Experiment eine Wohnung zur Verfügung.

Mitte November gab es für die WG sogar eine Auszeichnung: Der Radiosender big FM honorierte das Wohnmodell mit dem ersten Preis seiner „Initiative für Integration“. Die Urkunde und der überdimensionale Scheck über 1500 Euro stehen im Wohnzimmer. Die Bewohner wissen bereits, was sie damit machen wollen: Urlaub. Eine Woche WG-Ausflug in die Toskana. Samuel Hayer sagt: „Für Ammar und Khidr wäre das der erste Urlaub in ihrem Leben.“