Der entmachtete Präsident spricht vom Staatsstreich und ruft seine Anhänger in den ländlichen Regionen zum Widerstand auf. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zur Zukunft Ägyptens.

Kairo - Wie sieht der weitere politische Terminplan des Militärs aus?

 

Am Donnerstag wurde der bisherige Vorsitzende Richter des Verfassungsgerichts, Adli Mansur, als neuer Übergangspräsident vereidigt. Er hat weitreichende Vollmachten, kann per Dekret regieren und soll eine Regierung von Technokraten berufen, die bis zu den nächsten regulären Wahlen die Geschicke des Landes lenkt. Wer neuer Interimsregierungschef wird, ist bis jetzt nicht bekannt. Möglicherweise könnte die Wahl auf den ehemaligen Chef der Wiener Atomenergiebehörde, Mohamed al-Baradei, fallen. Wie lange Übergangspräsident und Übergangspremier im Amt bleiben, wann ein neues Parlament und eine neue reguläre Regierung gewählt werden, ist bis jetzt nicht bekannt. Gleichzeitig sieht der „Fahrplan für die Zukunft“ der Armee vor, dass die Verfassung außer Kraft gesetzt, von einem Gremium aus Fachjuristen überarbeitet und dann erneut dem Volk zum Referendum vorgelegt werden soll. Auch hier ist der Zeitrahmen bislang unklar.

Hat die Armee die Lage im Griff?

In Kairo haben die ägyptischen Streitkräfte alles aufgefahren, was Räder hat. In vielen Stadtteilen sind an strategischen Punkten gepanzerte Fahrzeuge postiert. Die Versammlungsorte der Muslimbrüder in Nasr City und Giza sind abgeriegelt. Damit will die Armee verhindern, dass es zu Krawallen und blutigen Auseinandersetzungen zwischen beiden Lagern kommt. Armeechef Sissi ließ am Donnerstag verlauten, die Armee fühle sich für die Sicherheit der Muslimbrüder genauso verantwortlich wie für die Sicherheit der übrigen Bevölkerung. „Auch diese Menschen sind Söhne Ägyptens“, hieß es in seiner Erklärung. Die Polizei ist plötzlich in großer Stärke wieder auf den Straßen sichtbar.

Wie ist die Lage in anderen Städten Ägyptens?

Die Lage ist wesentlich unübersichtlicher als in Kairo. In der ersten Nacht nach dem Militärputsch blieb es fast überall ruhig. Doch das kann sich schnell ändern. Viele Anhänger der Muslimbrüder hoffen, dass die Menschen in den kleineren Städten gegen die Absetzung ihres Präsidenten Mohammed Mursi aufstehen. Konnte der islamistische Staatschef bei seiner Wahl in Kairo nur rund ein Drittel aller abgegebenen Stimmen auf sich vereinen, war die Zustimmung für ihn in ländlichen Regionen und kleineren Städten wesentlich höher.

Assad beglückwünscht die Mursi-Gegner

Was geschieht mit dem abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi und der Führung der Muslimbrüder?

Mohammed Mursi, der sich am Donnerstag im Verteidigungsministerium im Gewahrsam befand, verurteilte seine Entmachtung als „klaren Militärputsch“. Er sei „der gewählte Präsident Ägyptens“, erklärte er in einer Twitter-Botschaft. Seine Absetzung werde „von allen freien Menschen des Landes abgelehnt, die dafür gekämpft haben, dass Ägypten eine zivile Demokratie wird“. Noch in der Nacht wurden im ganzen Land mehr als 300 Mitglieder von Mursis Regierungsmannschaft sowie Führungskräfte der Muslimbrüder verhaftet, darunter auch der Chef der Muslimbruderschaft, Mohamed Badie, und sein Vize Khairat Al-Shater. Für Hunderte Muslimbrüder gilt ein Ausreiseverbot. Sechs Satellitenkanäle ließ das Militär schließen, darunter den einzigen eigenen Sender der Muslimbrüder.

Wie sind die Reaktionen in der arabischen Welt?

Die Reaktionen fielen entlang der üblichen politischen Bruchlinien in der Region aus. Syriens Machthaber Baschar al-Assad begrüßte den Sturz Mursis und erklärte, die großen Straßenproteste gegen ihn seien eine „große Leistung“ des ägyptischen Volkes. Katar gratulierte dem neuen Übergangspräsidenten ebenso Saudi-Arabien, Bahrain, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate. Man werde Ägypten auch weiterhin finanziell unterstützen, hieß es. Man respektiere die Entscheidungen des ägyptischen Volkes und hoffe, dass die nationale Einheit Ägyptens gestärkt werde. Dagegen kam scharfe Kritik aus der Türkei. Es sei extrem Besorgnis erregend, dass das Militär einen gewählten Präsidenten aus dem Amt entfernt habe, erklärte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu. Auch sei nicht hinnehmbar, dass Politiker wie Mursi festgenommen oder unter Hausarrest gestellt würden. Alle politischen Akteure sollten ohne Einschränkungen und ohne Diskriminierung an Wahlen in Ägypten teilnehmen. Iran wiederum erklärte, man lehne jegliche Einmischung in die inneren Verhältnisse Ägyptens ab.

Wie reagierte das westliche Ausland?

Die westlichen Staaten reagierten teilweise zurückhaltend und teilweise mit offener Kritik. Barack Obama zeigte sich „tief besorgt über die Entscheidung der Armee, Präsident Mursi abzusetzen und die Verfassung zu annullieren“. Ähnlich äußerten sich am Donnerstag auch UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton. Sie sei sich allerdings völlig bewusst über die tiefen Risse in der ägyptischen Gesellschaft, fügte sie einschränkend hinzu. Außenminister Guido Westerwelle sprach von einem „schweren Rückschlag für die Demokratie in Ägypten“. Es bestehe die ernste Gefahr, dass der demokratische Übergang in Ägypten schweren Schaden nehme. Darum müsse Ägypten schnellstmöglich zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückkehren, so der Außenminister.