Region: Verena Mayer (ena)

Michael Höveler-Müller verguckte sich in Nofretete, als er ein kleiner Bub war. Als er ein junger Mann war, studierte er Ägyptologie. Als er sein Diplom hatte, grub er in Abydos Skelette aus und baute das ägyptische Museum der Universität in Bonn mit auf. Als er schließlich dessen Kurator war, wurde Michael Höveler-Müller berühmt. 2009 identifizierte er eines der Exponate als Flakon der Pharaonin Hatschepsut, die um 1450 vor Christus als erste Frau über Ägypten herrschte. Damit nicht genug: 2011 stellt sich heraus, dass in dem Flakon wahrscheinlich nicht Parfüm gelagert war, sondern eine Krebs erregende Lotion, mit der sich die Pharaonin zu Tode gecremt haben könnte. Fast kein Medium, das dieser These keine Aufmerksamkeit schenkte.

 

Wie immer, wenn das alte Ägypten in der neuen Zeit sichtbar wird. Kaum vorstellbar, sollte es Wissenschaftlern wirklich gelingen, hinter der weltberühmten Grabkammer des Pharao Tutanchamun das bisher unauffindbare Grab Nofretetes zu entdecken! Allein die Aussicht auf diese Sensation hat im November tagelang weltweit Schlagzeilen produziert.

Heute, als Ehemann und Vater zweier Kinder, arbeitet Michael Höveler-Müller mit jungen arbeitslosen Menschen. Eine sichere Stelle als Integrationsbegleiter ist besser als keine Stelle in der Archäologie oder an der Uni. Der Ägyptologie frönt Höveler-Müller, indem er hoch gelobte Bücher verfasst und Hieroglyphisch lehrt.

Nach der Mittagspause verkündet er: „Jetzt wird es unangenehm.“ Jetzt kommt das, was Kenner Zweikonsonantenzeichen nennen. Das Helmperlhuhn zum Beispiel ist ein Zweikonsonantenzeichen. Erkennt man es, weiß man, hier steht irgendwas, in dem der Laut nh vorkommt.

Dreikonsonantenzeichen nach der Kaffeepause

Kurz nach zwei sagt Höveler-Müller: „Jetzt kommen wir zu einem sehr schönen Thema.“ Das Thema sind Posessivpronomen: mein Haus, dein Haus, euer Haus, wofür es viele unterschiedliche Hieroglyphen gibt. Es folgen Adjektive: Wie schreibt man guter Bruder, schöne Frau? Dann der Genitiv: die Frau des Mannes, der Name des Kindes der schönen Frau. Und nach der Kaffeepause schließlich: die Dreikonsonantenzeichen. Der Skarabäus-Käfer ist so ein Zeichen. Steht für hpr, unter anderem.

Worte mit Schilfblättern

Das altägyptische Alphabet ist eine Augenweide. Seine Buchstaben haben die Form eines Löwen oder einer Kobra. Es gibt Worte, die beginnen mit Schilfblättern und enden mit einer Krone. Und wenn man ein Gebilde entdeckt, in dem ein verhangener Mond und ein gefaltetes Stück Stoff vorkommen, muss man verstehen, dass die Zeichen für Michael Höveler-Müller etwas Meditatives haben. „Lesen Sie mal“, befiehlt der Dozent, der seinen Schülern, die 25 grundlegenden Hieroglyphen eingetrichtert und ein Bild mit umwerfenden Zeichen an die Wand gezaubert hat.

„Steht da ein Adler oder ein Küken?“ – „Ein Küken, zu erkennen am Popo!“ Und: „Stellt die Hand ein A dar oder ein T?“ – „Ein D!“ Passabel für den Anfang. Da kann man in den Zeichen an der Wand schon mal König Pepi entdecken, einen bekannten Herrscher der sechsten Dynastie.

Zeit für Deutzeichen: Deutzeichen, doziert der Dozent, beschreiben eine Person, einen Gegenstand oder eine Tätigkeit. Höveler-Müller kritzelt einen Tisch an die Tafel, der in Wahrheit das Himmelsgewölbe darstellt, aus dem ein Pfeil schießt, der tatsächlich ein Blitz ist. Bedeutet: Nacht. „Ist das nicht genial?“, ruft der Lehrer. Und hier, diese sitzende Figur, was heißt das? „Sitzer“, scherzt Vera Fritzen. „Herrentoilette“, gackert Uli Marx-Schelper. „I break together“, kalauert Höveler-Müller. Der Sitzer steht, ganz schlicht, für Mann.

Noch vor der Mittagspause kann die Hieroglyphen-Klasse entziffern: „Mond ist das Auge des Sonnengottes in der Nacht.“

Der Flakon der Pharaonin

Michael Höveler-Müller verguckte sich in Nofretete, als er ein kleiner Bub war. Als er ein junger Mann war, studierte er Ägyptologie. Als er sein Diplom hatte, grub er in Abydos Skelette aus und baute das ägyptische Museum der Universität in Bonn mit auf. Als er schließlich dessen Kurator war, wurde Michael Höveler-Müller berühmt. 2009 identifizierte er eines der Exponate als Flakon der Pharaonin Hatschepsut, die um 1450 vor Christus als erste Frau über Ägypten herrschte. Damit nicht genug: 2011 stellt sich heraus, dass in dem Flakon wahrscheinlich nicht Parfüm gelagert war, sondern eine Krebs erregende Lotion, mit der sich die Pharaonin zu Tode gecremt haben könnte. Fast kein Medium, das dieser These keine Aufmerksamkeit schenkte.

Wie immer, wenn das alte Ägypten in der neuen Zeit sichtbar wird. Kaum vorstellbar, sollte es Wissenschaftlern wirklich gelingen, hinter der weltberühmten Grabkammer des Pharao Tutanchamun das bisher unauffindbare Grab Nofretetes zu entdecken! Allein die Aussicht auf diese Sensation hat im November tagelang weltweit Schlagzeilen produziert.

Heute, als Ehemann und Vater zweier Kinder, arbeitet Michael Höveler-Müller mit jungen arbeitslosen Menschen. Eine sichere Stelle als Integrationsbegleiter ist besser als keine Stelle in der Archäologie oder an der Uni. Der Ägyptologie frönt Höveler-Müller, indem er hoch gelobte Bücher verfasst und Hieroglyphisch lehrt.

Nach der Mittagspause verkündet er: „Jetzt wird es unangenehm.“ Jetzt kommt das, was Kenner Zweikonsonantenzeichen nennen. Das Helmperlhuhn zum Beispiel ist ein Zweikonsonantenzeichen. Erkennt man es, weiß man, hier steht irgendwas, in dem der Laut nh vorkommt.

Dreikonsonantenzeichen nach der Kaffeepause

Kurz nach zwei sagt Höveler-Müller: „Jetzt kommen wir zu einem sehr schönen Thema.“ Das Thema sind Posessivpronomen: mein Haus, dein Haus, euer Haus, wofür es viele unterschiedliche Hieroglyphen gibt. Es folgen Adjektive: Wie schreibt man guter Bruder, schöne Frau? Dann der Genitiv: die Frau des Mannes, der Name des Kindes der schönen Frau. Und nach der Kaffeepause schließlich: die Dreikonsonantenzeichen. Der Skarabäus-Käfer ist so ein Zeichen. Steht für hpr, unter anderem.

Karin Brech lässt ihren Kopf auf die Tischplatte sinken und seufzt. Ihre Nebensitzerin Stefany Goschmann jammert: „Das ist alles einleuchtend, aber ich kann’s mir halt nicht merken.“ Hassen die Schüler Michael Höveler-Müller etwa bereits am Nachmittag? Sicherheitshalber gibt er zu, dass auch er Jahre gebraucht hat, bis er die Hieroglyphen beherrschte.

Was der Klasse bestimmt auch ein Trost ist: allein die Entschlüsselung der Schrift dauerte eine kleine Ewigkeit. Der geniale Sprachforscher Jean-François Champollion brütete mehr als zwei Jahrzehnte über den Zeichen, die eine französische Expedition 1799 im Nildelta auf dem Stein von Rosetta entdeckt hatte. Der Text auf dem Stein war außer in Hieroglyphisch in zwei weiteren Sprachen verfasst. Die Übersetzung gestaltete sich vor allem deshalb so kompliziert, weil Champollion erst einmal verstehen musste, dass manche Hieroglyphen für Laute stehen, manche für ganze Wörter und wieder andere die Bedeutung eines Satzes ändern, je nach dem, wo sie stehen.

„Gab es bei den alten Ägyptern auch Verben?“, will die offenbar nimmermüde Doris Mann wissen. „Gab es“, antwortet Michael Höveler-Müller. Sogar starke und schwache, ebenso Zeitstufen und Konjunktionen und und und. Die Schüler zucken, auch Doris Mann. „Egal, wenn Sie verwirrt sind“, muntert der Dozent sie auf. „Hauptsache, Sie nehmen heute etwas mit.“

Blumen und Rinderbeine für Ahmose-Nefertari

Muss es nicht monumental sein, vor einer Grabanlage in Abydos zu stehen und die Namen der einstmals mächtigen Könige selbst lesen zu können? Oder im Louvre vor einem Türsturz aus Medamud alleine zu erkennen, dass darauf Sesostris III. zu sehen ist, der dem Gott Month Brot und Weihrauch opfert? Auf einer Stele im Louvre den Bürger Parennefer zu verfolgen, der der Königin Ahmose-Nefertari huldigt, indem er ihr Salbe, Blumen und Rinderbeine darbringt? In einem Grabpfeiler im Ägyptischen Museum in Berlin König Sethos I. zu erkennen, der von Osiris, dem Herrscher der Unterwelt, die Mächtigkeit des Sonnengottes Ra verliehen bekommt?

Näher kann man sich den alten Ägyptern wahrscheinlich nicht fühlen als bei der Vertiefung in ihre teils mehr als 5000 Jahre alten Kunstwerke. „Ich krieg’ immer Gänsehaut, wenn ich so etwas sehe“, schwärmt Michael Höveler-Müller.

Draußen glüht die Sonne ihrem Untergang entgegen, das Gezwitscher der Vögel wird leiser. Höchste Zeit für den krönenden Abschluss des Kurstages. An der Wand erscheint – die Schüler erkennen ihn sofort – Osiris. Nefertari, die – wie jeder weiß – Gemahlin von Ramses II., hat einen riesigen Opferberg vor dem Totengott aufgetürmt. „Und“, fragt Michael Höveler-Müller seine Schüler erwartungsvoll, „was sagt Osiris?“ Zischen, Grummeln, Grübeln, Rätseln. Dann stockendes und wechselweises Sprechen: „Hiermit gebe ich dir, das Erscheinen des Ra im Himmel.“ – „Hiermit gebe ich dir alle Ewigkeit vor mir“ – „Hiermit gebe ich dir alle Herzensfreude vor mir.“ Auf Neudeutsch: Osiris gewährt Nefertari ein unendliches Leben in Harmonie. „Ist das nicht toll?“, ruft der Lehrer.

Alle Schüler haben rote Backen, fast alle lächeln, manche lassen sich sogar ein Buch von Michael Höveler-Müller signieren. Sieht nicht so aus, als ob sie ihn hassen.