Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

 

Der Künstlerberuf unterscheidet sich von anderen jedoch dadurch, dass er nicht primär zu Erwerbszwecken ausgeübt wird, sondern dass ihm ein innerer Drang zugrunde liegt. Ein Antrieb. Er kann sich bei Musikern auf rein ästhetischer Ebene ausdrücken, dem Bestreben etwa, gängige tonale Konventionen aufzubrechen. Von Bill Haley an, der 1954 mit „Rock around the Clock“ die Initialzündung lieferte, lässt sich bis in die Gegenwart ein Kontinuum der Popstile und -genres spinnen, die so aus der Taufe gehoben wurden. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass heutzutage wirklich alles schon mal da war.

Der Musikkritiker Jens Balzer etwa argumentiert in seinem derzeit viel diskutierten Buch „Pop“ so. Er datiert den Schlusspunkt der tradierten Popmusik auf den Beginn der Jahrtausendwende, als die Strokes und die Libertines den Abgesang maskulin geprägter Rockmusik von den Konzertbühnen herunter schmetterten. Der Rest ist nur noch postepigonal? Nun ja, der junge Mozart konnte die Oper leider nicht mehr erfinden, weil diesem Genre schon Monteverdi zur Blüte verholfen hatte. So können auch die jungen Musiker von heute das Rad weder neu erfinden noch nennenswert weiterdrehen, weil jeder Innovationspfad bereits betreten worden ist. Künstlerpech, sozusagen – und zugleich der Grund, warum noch immer so viele Menschen die Wegbereiter goutieren. Bands wie die Einstürzenden Neubauten füllen bei dieser Qualitätsabstimmung mit den Füßen jedenfalls jene Säle, die vielen jungen Popmusikern oftmals allenfalls offen stehen, um sich etwas abzugucken.

Von Impulsgebern und Nachmachern

Künstler dieses Ranges haben häufig die Musikgeschichte beeinflusst, sie lassen sich nicht nur von ihr beeinflussen. Sie hecheln nicht Trends und Moden hinterher, sie treibt neben dem musischen Impetus oft auch eine Haltung an. Diese mag in Songtexten von der radikalen Ablehnung gesellschaftspolitischer Systeme bis hin zum blauäugigen Glauben an Love, Peace and Happiness reichen, aber es gibt zumindest eine. Bei vielen jungen Bands zählen die Facebookfreundschaften mehr als politische Feindschaften, erschöpfen sich die Songsujets in matter Zukunftsangst oder drückt sich Haltung aus wie etwa bei der Band Annenmaykantereit, die in Songzeilen als Kompletterfüllung ihres Lebenstraums „Ich würd‘ gern mit dir in ’ner Altbauwohnung wohn‘ / Zwei Zimmer, Küche Bad und n’ kleiner Balkon“ vorbringen. Das ist, in jeder Hinsicht, nicht viel.

Reifere Musiker profitieren auch davon, dass sie nicht von Erfolgsdruck oder Erwartungshaltungen getrieben sind. David Gilmour war zuletzt 1989 mit Pink Floyd in Stuttgart zu Gast, Patti Smith gab vor zwei Jahren ihr erstes Konzert in Stuttgart überhaupt. Die Band Revolverheld hingegen gastierte allein in diesem Jahr schon zweimal in der Region, die Band Isolation Berlin ebenso – ein Ausweis künstlerischer Muße sieht anders aus. Die ebenfalls deutsche Band Kraftwerk veröffentlichte ihr letztes Album vor dreizehn, ihr vorletztes vor dreißig Jahren; schwer vorstellbar, dass die junge deutsche Band Kraftklub sich bei ihren Schaffensintervallen ähnlich viel Zeit gönnen darf – denn wer würde sich in einem Dutzend Jahren noch für beliebig austauschbare Inhalte interessieren?

Was einen Künstler ausmacht

Der Künstlerberuf unterscheidet sich von anderen jedoch dadurch, dass er nicht primär zu Erwerbszwecken ausgeübt wird, sondern dass ihm ein innerer Drang zugrunde liegt. Ein Antrieb. Er kann sich bei Musikern auf rein ästhetischer Ebene ausdrücken, dem Bestreben etwa, gängige tonale Konventionen aufzubrechen. Von Bill Haley an, der 1954 mit „Rock around the Clock“ die Initialzündung lieferte, lässt sich bis in die Gegenwart ein Kontinuum der Popstile und -genres spinnen, die so aus der Taufe gehoben wurden. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass heutzutage wirklich alles schon mal da war.

Der Musikkritiker Jens Balzer etwa argumentiert in seinem derzeit viel diskutierten Buch „Pop“ so. Er datiert den Schlusspunkt der tradierten Popmusik auf den Beginn der Jahrtausendwende, als die Strokes und die Libertines den Abgesang maskulin geprägter Rockmusik von den Konzertbühnen herunter schmetterten. Der Rest ist nur noch postepigonal? Nun ja, der junge Mozart konnte die Oper leider nicht mehr erfinden, weil diesem Genre schon Monteverdi zur Blüte verholfen hatte. So können auch die jungen Musiker von heute das Rad weder neu erfinden noch nennenswert weiterdrehen, weil jeder Innovationspfad bereits betreten worden ist. Künstlerpech, sozusagen – und zugleich der Grund, warum noch immer so viele Menschen die Wegbereiter goutieren. Bands wie die Einstürzenden Neubauten füllen bei dieser Qualitätsabstimmung mit den Füßen jedenfalls jene Säle, die vielen jungen Popmusikern oftmals allenfalls offen stehen, um sich etwas abzugucken.

Von Impulsgebern und Nachmachern

Künstler dieses Ranges haben häufig die Musikgeschichte beeinflusst, sie lassen sich nicht nur von ihr beeinflussen. Sie hecheln nicht Trends und Moden hinterher, sie treibt neben dem musischen Impetus oft auch eine Haltung an. Diese mag in Songtexten von der radikalen Ablehnung gesellschaftspolitischer Systeme bis hin zum blauäugigen Glauben an Love, Peace and Happiness reichen, aber es gibt zumindest eine. Bei vielen jungen Bands zählen die Facebookfreundschaften mehr als politische Feindschaften, erschöpfen sich die Songsujets in matter Zukunftsangst oder drückt sich Haltung aus wie etwa bei der Band Annenmaykantereit, die in Songzeilen als Kompletterfüllung ihres Lebenstraums „Ich würd‘ gern mit dir in ’ner Altbauwohnung wohn‘ / Zwei Zimmer, Küche Bad und n’ kleiner Balkon“ vorbringen. Das ist, in jeder Hinsicht, nicht viel.

Reifere Musiker profitieren auch davon, dass sie nicht von Erfolgsdruck oder Erwartungshaltungen getrieben sind. David Gilmour war zuletzt 1989 mit Pink Floyd in Stuttgart zu Gast, Patti Smith gab vor zwei Jahren ihr erstes Konzert in Stuttgart überhaupt. Die Band Revolverheld hingegen gastierte allein in diesem Jahr schon zweimal in der Region, die Band Isolation Berlin ebenso – ein Ausweis künstlerischer Muße sieht anders aus. Die ebenfalls deutsche Band Kraftwerk veröffentlichte ihr letztes Album vor dreizehn, ihr vorletztes vor dreißig Jahren; schwer vorstellbar, dass die junge deutsche Band Kraftklub sich bei ihren Schaffensintervallen ähnlich viel Zeit gönnen darf – denn wer würde sich in einem Dutzend Jahren noch für beliebig austauschbare Inhalte interessieren?

Beth Gibbons, die Sängerin der Band Portishead (letztes Album vor acht, vorletztes vor neunundzwanzig Jahren), ist mit 51 Jahren in etwa so alt wie ihre Kolleginnen Björk (50) oder Lisa Gerrard von Dead can dance (55). Kein ernsthafter Freund von Qualitätsmusik würde diesen meisterhaften Vokalistinnen ihren künstlerischen Ausnahmerang absprechen – und schon dreimal nicht über ihr schon fortgeschrittenes Alter sprechen. Umgekehrt: Welcher ambitionierte Hipster hätte wohl etwas einzuwenden gegen zwei Freikarten für ein Konzert von Leonard Cohen (der Herr ist über achtzig), Depeche Mode (deren Mitglieder allesamt Mittfünfziger sind) oder Nick Cave (der nächstes Jahr sechzig wird)? Über das Alter gereifter Musiker zu lästern ist wohlfeil, ihnen ihre offenkundig nach wie vor vorhandene Freude am Musizieren madig zu machen ist infam, ihnen den Ruhestand nahezulegen kommt einem Berufsverbot gleich.

Große Kunst zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich deutlich von der Masse abhebt; sie ist daher per se ein rares Gut. Das Gegenteil dessen zeichnet sich durch Omnipräsenz aus. Medial in Castingshows sonder Zahl, aus denen junge „Talente“ hervorgehen. Pseudoakademisch in Popakademien, in denen Studenten vorgegaukelt wird, dass Schöpfungskraft erlernbar und formatierter Erfolg programmierbar sei. Auf den Bühnen diverser Stadtteilfeste, bei denen Musik zu Nebenherbespaßung degeneriert. Durch eine Plattenindustrie, in der längst keine Scouts mehr Könner erspähen, sondern rein merkantiles Denken jegliches Sendungsbewusstsein übertüncht hat. In einer Hard- und Softwarewelt, in der jeder Dilettant CDs aufnehmen und verbreiten kann. Was für eine schöne neue Welt!

Wen verwundert da die Wehmut, die Nostalgie, die Freude an der Retrospektive, die viele Menschen in die Konzerte altgedienter Routiniers treibt. Natürlich gibt es auch dort viel Langeweile und viel Mittelmaß zu erleben. Einige gesetztere Musiker – man braucht keine Namen zu nennen – wollen auch in den Großhallen nur eines zementieren: den Status quo. Erwart- und Austauschbarkeit ist allerdings kein Privileg der Alten, wie jeder Blindvergleich des Repertoires der jungen Bands Silbermond und Juli, Sum 41 und Blink-182 oder Linkin Park und Limp Bizkit mühelos lehrt.

Das Fazit: wie gute Musik klingt

„Are you interested in Music?“, fragt trotzig ein Schild auf Adam Greens aktuellem Album „Aladdin“. Das ist die entscheidende Frage. Es geht nicht um Regionalität oder Lebenserfahrung, allein im deutschsprachigen Raum gibt es sehr gute jüngere (Soap & Skin) und ältere (The Notwist) wie auch sehr schlechte jüngere (Freiwild) und ältere (Böhse Onkelz) Bands. Es geht nicht um Größe, Heldenstatus oder Renommee, denn wenn am 4. November zeitgleich in der Stuttgarter Schleyerhalle Rod Stewart vor vermutlich zehntausend Zuschauern und in der Schorndorfer Manufaktur der Songwriter Robin Proper-Sheppard vor vielleicht dreihundert Besuchern auf der Bühne stehen werden, weiß man sehr wohl, wo an diesem Abend die ambitioniertere, ziseliertere, reflektierendere, in der Summe also: bessere Musik zu hören sein wird.

Es geht, wie der mit 35 Jahren übrigens weder richtig junge noch richtig alte, vorzügliche, dennoch bescheiden auftretende Musiker Adam Green korrekt festhält, um die Güte. Um den Willen, buchstäblich Unerhörtes zu schaffen. Das unabdingbar notwendige Talent, um künstlerisch aus der Masse herauszustechen. Darum, an der Sache interessiert zu sein und nicht am Business. Allzu viele ältere Popmusiker, auf die das alles zutrifft, gibt es nicht – allzu viele jüngere, die in ihre Fußstapfen treten könnten, derzeit allerdings auch nicht.