An dieser Stelle wurde von Jan Georg Plavec beklagt, dass junge Popbands kaum Chancen haben, weil ältere Künstler auf den großen Bühnen dominieren. Aber wo sind sie denn bitte, die Nachwuchstalente? Eine Gegenrede.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Milo Aukerman trägt weder einen Vollbart noch Tätowierungen zur Schau. Mit ergrauter Durchschnittsfrisur und einer Akademikerbrille auf der Nase blickt er aus dem Foto im Booklet zur neuen CD seiner Band Descendents, er strahlt – auch in Interviews – die Gelassenheit eines Mannes aus, der niemandem mehr etwas beweisen muss. Und das muss er ja auch nicht mehr.

 

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Der Musiker Aukerman, der mit den Descendents vor drei Dekaden den frühen US-Westküsten-Melodikpunk mitgeprägt und bis heute viele Nachfolger beeinflusst hat, ist außerdem ein promovierter Biochemiker, der an der Universität von Delaware lehrt. Wenn er mit seinen Bandkumpanen heute Alben einspielt oder Konzerte gibt, dann tut er das nicht, um damit Geld zu verdienen. Er musiziert, weil es ihm ein Herzensbedürfnis ist. Seine Triebfeder sind weder Ruhmsucht noch ein dicker Plattenvertrag, weder Bling-Bling noch ein halbes Dutzend Groupies im Arm. Er ist eine Respektsperson, das unterscheidet ihn von den unzähligen Jungspunden, bei denen sich Bescheidenheit nicht als Zier, sondern lediglich in der Wahl der Ausdrucksmittel manifestiert, die heute als das nächste heiße Ding gepriesen werden wollen und morgen mangels Format, Willen oder Können in der Versenkung verschwinden.

Große Namen, große Hallen, große Gagen

Auch Carlos Santana, David Gilmour, Robert Smith, Pete Townshend und Roger Daltrey sowie Rod Stewart müssen nichts mehr beweisen. Zusammen dürften sie rund eine halbe Milliarde Alben verkauft haben, und zwar in Plattenläden rund um den Globus, nicht nur am Klapptischchen bei kleinen Clubkonzerttourneen durch den süddeutschen Raum. Santana und Gilmour haben jüngst auf dem ausverkauften Stuttgarter Schlossplatz gespielt, die knapp sechstausend Eintrittskarten für den Ex-Pink-Floyd-Musiker waren nach sechs Minuten vergriffen. Smith mit seiner Band The Cure, Townshend und Daltrey mit ihrer Band The Who und Rod Stewart werden im Herbst in der dann wohl jeweils ausverkauften Schleyerhalle, der größten verfügbaren Arena in der Region, Konzerte geben. Die stattlichen Eintrittspreise, die bei diesen Gastspielen verlangt werden, mag man bejammern – der Preis, den die Zuschauer zu zahlen bereit sind, verdeutlicht allerdings auch die Wertschätzung, die diesen Künstlern entgegengebracht wird.

Honoriert mit dem Preis wird nicht nur der selbstverständlich nachvollziehbare Wunsch des Publikums, dem Künstler bei der Ausübung seines Berufs leibhaftig zuzuschauen, dessen große Evergreens live zu hören und selig in vergangenen Zeiten zu schwelgen. Er ist auch der Lohn für eine erbrachte Lebensleistung, eine Respektsbekundung, die man sich in jahrzehntelangem künstlerischem Streben erarbeiten muss und nicht in den Kellerprobenraum um die Ecke frei Haus geliefert bekommt. Der Preis spiegelt schließlich auch den Wert von Kunst. Ganz im Gegensatz zur hierzulande weitverbreiteten, juvenilen Gratiskonzert-„Kultur“, die den Umstand konterkariert, dass ein Musiker ebenso wie ein Fleischereifachverkäufer oder ein Journalist Anspruch auf eine angemessene Vergütung seiner Arbeit hat. Und im Sternerestaurant, das nur am Rande, kostet eine erstklassige warme Mahlzeit nun mal mehr als im Stehimbiss. Weswegen aus dem Gejammere über die hohen Eintrittspreise für Großkonzerte wohl eher kleinkarierter Futterneid spricht.