In der Altenpflege der Göppinger katholischen Kirchengemeinde soll sich ein Millionendefizit angehäuft haben. Der Verwaltungschef Kolb steht unter Druck – und wirft seinerseits dem Gemeindepfarrer Mobbing vor.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Göppingen - Es ist eine harmlos klingende Presseerklärung gewesen, die im Januar von der katholischen Gesamtkirchengemeinde in Göppingen verbreitet worden ist. Im Zuge einer Neustrukturierung sei die Stiftung Sankt Stephanus vollständig von der Gesamtkirchenpflege getrennt worden, hieß es. Die Verwaltung der Kirchengemeinde werde entlastet und könne sich „wieder auf ihre Kernthemen konzentrieren“, lautete die Botschaft. Doch was sich dahinter verbarg, war nicht mehr und nicht weniger als die Entmachtung des bis dahin allmächtigen Verwaltungschefs Georg Kolb. Unter seiner Leitung, so der Eindruck von Pfarrer Jürgen Sauter, sei die Einrichtung, unter deren Dach ein Jugendwohnheim, ein Pflegeheim und die Sozialstation Sankt Franziskus geführt werden, in eine finanzielle Schieflage geraten.

 

Die beiden einstigen Duzfreunde Kolb und Sauter, die eigentlich die Gemeinde leiten, kommunizieren seither nur noch schriftlich miteinander. Er werde vom Pfarrer gemobbt, hat Kolb die Mobbingstelle des Bischöflichen Ordinariats in Rottenburg in einem 20 Punkte umfassenden Brief bereits wissen lassen. Doch wie es bisher aussieht, könnten sich Sauters Befürchtungen mehr als bestätigen. Zwar dürfte die Altenhilfe in diesem Jahr eine schwarze Null erwirtschaften. Doch die Altlasten sind enorm. Bei der Stiftung könnte sich in den vergangenen Jahren unbemerkt ein Millionendefizit angehäuft haben.

Die Prüfer stoßen auf ein Chaos

So ganz genau weiß das bisher niemand. Dabei haben acht Mitarbeiter der Vinzenz Service Gesellschaft Buchungen, Belege und Konten für den Altenhilfebereich gesichtet. Das christliche Dienstleistungsunternehmen mit Sitz in Sigmaringen ist auf schwierige Fälle spezialisiert. Doch beim Versuch, für 2011 einen Jahresabschluss zu erstellen, kamen die Sigmaringer, die jetzt die Geschäfte führen, aus dem Staunen nicht heraus. „Sie haben ein einziges Chaos angetroffen“, erinnert sich Erhard Wetzel, der stellvertretende Vorsitzende des Kirchengemeinderats von Sankt Maria. Weiter äußern darf er sich nicht. Das Bischöfliche Ordinariat hat die Beteiligten zu Stillschweigen verpflichtet.

Der vertrauliche Bericht der Prüfer, welcher der Stuttgarter Zeitung vorliegt, spricht Bände. Munter seien die finanziellen Mittel der verschiedenen Stiftungseinrichtungen und der Kirchengemeinden vermengt worden. Keiner der Jahresabschlüsse seit Kolbs Amtsantritt im Jahr 2004 gebe auch nur annähernd die tatsächlichen Verhältnisse wieder. Durch einen fehlerhaften Bilanzaufbau und nicht abgestimmte Konten würden Defizite verschleiert. Ein Darlehen des Bischöflichen Ordinariats über 300 000 Euro sei nicht bei der Stiftung angekommen. Zudem habe man nie Rücklagen für Investitionen im Pflegeheim St. Martinus gebildet, obwohl dies in den Pflegesätzen eingepreist sei.

Selbstbedienungsladen für die Mitarbeiter

Manche Ungereimtheiten waren offenbar schon lange vor Kolbs Amtsantritt gängige Praxis. So seien den Mietern von Stiftungswohnungen teilweise seit mehr als 20 Jahren keine Nebenkostenabrechnungen zugestellt worden. Vor allem aber sei die Zahl der Überstunden in der Pflege, aber auch in der Verwaltung aus dem Ruder gelaufen. 300 000 bis 500 000 Euro soll die Stiftung hierfür zuletzt jährlich aufgewendet haben. Ihre Notwendigkeit sei dabei nicht ausreichend belegt. Im Vinzenz-Papier ist von einem regelrechten „Selbstbedienungsladen“ die Rede.

Inzwischen hat das Ordinariat für die Jahre 2004 bis 2010 eine Sonderprüfung für die Gesamtkirchengemeinde angeordnet. Auch dieser Bericht führt zahlreiche Mängel und Defizite auf. So könne keine einzige der zurückliegenden Jahresrechnungen als gültig anerkannt werden. Es gebe nicht einmal Hinweise auf die vorgeschriebene öffentliche Auslegung und die förmliche Feststellung durch den Kirchengemeinderat. „Eine Entlastung des Gesamtkirchenpflegers durch den Gesamtkirchengemeinderat kann von uns nicht empfohlen werden“, heißt es am Ende des Berichts. Eine persönliche Bereicherung wird Kolb aber nicht vorgeworfen, sieht man einmal von der Nutzung eines Dienstwagens ab, der in seinem Arbeitsvertrag mit keiner Silbe erwähnt wird.

Kolb wagt Gegenangriff

Der Gescholtene selbst hält die Vorwürfe für reine Formalien. Für eine am kommenden Montag geplante nicht öffentliche Sondersitzung des Gesamtkirchengemeinderats, bei der ebenfalls das Ordinariat vertreten sein wird, habe er eine Synopse erstellen lassen, in der jeder einzelne Punkt entkräftet werde. „Danach ist die Sache hoffentlich abgeschlossen“, sagt Kolb, der im vergangenen Jahr als Kandidat der SPD Göppinger Sozialbürgermeister werden wollte. Innerhalb der Kirchengemeinde ist er keineswegs isoliert, weshalb auch Pfarrer Sauter und seine Mitstreiter unter Druck stehen. So hofft auch der Gemeinderat Wetzel auf ein Ende der Affäre: „Wenn jetzt nichts passiert, dann knallt es.“