Die Entscheidung, in diesem Jahr keinen Literatur-Nobelpreis zu vergeben, ist richtig, kommentiert Tim Schleider. Doch abschaffen sollte man die Auszeichnung auf keinen Fall.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stockholm - Ach, hätte es der schwedische Dynamiterfinder Alfred Nobel in seinem Testament 1896 doch bei drei Nobelpreisen belassen: Physik, Chemie und Medizin. Dank des globalen Wettbewerbs der Naturwissenschaften vermag man sich sofort vorzustellen, dass irgendein Gremium entscheiden kann, wer wann und wo die wichtigsten Entdeckungen gemacht hat und dafür eine Urkunde, einen Handschlag des Königs, ein schönes Abendessen und rund 750 000 Euro Preisgeld verdient.

 

Nobels weitergehende Wünsche nach einem jährlichen Friedens- und einem Literaturpreis schaffen dagegen regelmäßig Probleme. Ja, der Literaturnobelpreis provoziert sogar regelmäßig Hohn und Spott. Manche der Preisträger in den vergangenen Jahren waren auf den ersten Blick selbst dem versierten Kulturpublikum frappierend unbekannt – und es war dann die Aufgabe der Kulturredakteure aller Länder, diesem ratlosen Publikum die Entscheidung in Stockholm doch noch plausibel zu erklären. Verbunden war das stets mit dem Hinweis, dass es doch eigentlich ganz schön und wichtig sei, von der hochkompetent und völlig unabhängig agierenden Expertenjury der Schwedischen Akademie stets auf die ganze Vielfalt der Weltliteratur hingewiesen zu werden. Selbst ein skurriles Votum wie jenes für Bob Dylan 2016 konnte man sich so noch schönreden.

Mauschelei und Korruption

Nun müssen wir alle konstatieren, dass es mit der Qualität und Kompetenz der Jury leider gar nicht so weit her war, dass sie vielmehr in ihren Reihen jahrelang Mauschelei, Vetternwirtschaft, Korruption und die Vertuschung sexueller Übergriffe geduldet hat. Weswegen nun einen Juror nach dem anderen das schlechte Gewissen so sehr plagt, dass er die Mitarbeit aufkündigt und die Runde der Verbliebenen zusehends in die Geschäftsunfähigkeit treibt. Es blieb der Akademie wirklich nichts anderes übrig, als den Literaturnobelpreis für dieses Jahr auszusetzen. Keinem Autor dieser Welt wäre derzeit noch zuzumuten, aus ihren Händen einen Preis anzunehmen. Das Problem ist, dass die allgemeine Enttäuschung über die zutage tretende Mediokrität der Juryverhältnisse auch noch die Preisvergaben jüngerer Zeit ins Zwielicht zu rücken vermag.

Gib uns eine gute Jury!

Was wäre in dieser Lage nun das Schlimmste? Wenn jemand auf die Idee käme, den Nobelpreis für Literatur ganz abschaffen zu wollen. Die Kultur braucht die schöne Illusion, man könnte einmal pro Jahr nicht nur wichtige Physiker, Chemiker oder Mediziner auszeichnen, sondern auch eine Autorin oder einen Autor, die allein mit ihrem Wort versuchen, zum Wohl der Literatur und so zum Wohl der Welt beizutragen. Diese wunderschöne Naivität Alfred Nobels, der glaubte, auch mit guter Literatur und guter Politik könne man der Menschheit dienen, ruft nach ungebremster Unterstützung. Darum: Hallo, schwedischer König! Lass uns den Preis! Gib uns eine gute, autonome Jury! Und dann wollen wir Kulturredakteure auch künftig jedes Jahr im Oktober wieder freudig erklären, was sich diese bei ihrer jüngsten Entscheidung wohl so gedacht hat.