Die Rohrpostanlagen von Aerocom aus Schwäbisch Gmünd werden heute hauptsächlich noch in Krankenhäuser eingesetzt. Aus dem kleinen Vertrieb ist ein internationaler Konzern geworden.

Stuttgart - Sie gehören eindeutig in den nostalgischen Teil der Technikgeschichte: Bei Kafka kann man Sätze wie „Hast Du Donnerstag noch keinen Rohrpostbrief, dann bin ich nach Prag gefahren“ lesen. Das war in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Etwas später durchzogen den Untergrund von Paris 467 Kilometer Rohrpostrohre, die eine schnelle Sendungszustellung innerhalb der Metropole ermöglichten. In Berlin kam eine ähnliche Anlage auf gut 400 Kilometer. Selbst aus den fünfziger Jahren gibt es noch abenteuerliche Geschichten über die Beförderung von Sendungen mittels Luftdruck durch Röhren zu erzählen: Da baute die Stadt Hamburg eine Anlage im Großformat – regelrechte Wagen sollten Briefe von einem Postamt zum anderen bringen. Doch nur wenige Wochen nach der Einweihung fügte die Sturmflut vom 16. Februar 1962 dem System große Schäden zu, Absackungen im Erdreich taten in den Folgejahren ihr übriges, sodass die Großrohrpost in Hamburg 1976 außer Dienst ging.

 

Seither ist es still geworden um das einst revolutionäre Transportsystem, dessen grundsätzliches Wirkprinzip – die Beschleunigung in einer Röhre mittels Luftsog und -druck – schon in der Antike bekannt war. Wer aber glaubt, Rohrpostanlagen gehörten der Vergangenheit an, der irrt – sogar gewaltig, wie Wolfram Pfitzer weiß: Er liefert noch immer solche Anlagen in alle Welt, 2000 bis 3000 pro Jahr, wie der Seniorchef des Schwäbisch Gmünder Unternehmens Aerocom GmbH & Co erzählt. Rohrpostanlagen seien eine kleine Nische geworden, ein Markt, der wohl einen Umsatz in dreistelliger Millionenhöhe umfasst, erzählt der 66-Jährige, es gebe weltweit nur vier „global player“ in dem Geschäft – Aerocom sei davon der größte und der einzige, der in 80 Ländern der Erde vertreten sei.

Allerdings transportieren Rohrpostanlagen heutzutage keine Briefe mehr und befinden sich nicht mehr unter Städten und nur noch in Einzelfällen in Behörden. „Da hat die moderne EDV die Rohrpost heute ersetzt“, so Pfitzer. Dafür haben sich die sausenden Plexiglasbüchsen als Spezialtransportmittel bewährt: Aerocom liefert vor allem an Krankenhäuser – 78 Prozent des Umsatzes fallen mit Hospitälern an. Zwischen und in den einzelnen Gebäuden der Uniklinik Heidelberg etwa haben die Schwaben mittlerweile 18 Kilometer Rohre verlegt, durch die täglich mehr als 3000 Sendungen rasen: Von der Gewebeprobe aus dem OP, die in die Histologie muss, über Untersuchungsinstrumente bis zur Blutprobe fürs Labor oder Medikamente für die einzelnen Stationen. Auf der längsten Einzelstrecke, die immerhin fast zwei Kilometer misst, sausen die Büchsen mitunter zu mehreren, als so genannter Zug, mit einer Geschwindigkeit von elf Metern pro Sekunde dahin – also fast 40 Stundenkilometern. „Anders ist so ein Sendungsaufkommen nicht zu leisten“, so Pfitzer. Normal seien allerdings Geschwindigkeiten von sechs bis acht Meter pro Sekunde, bei sensiblen Sendungen auch nur zwei bis drei Meter pro Sekunde.

Angesiedelt in Schwäbisch Gmünd

Pfitzer ist seit 1981 Geschäftsführer von Aerocom, seit 1996 gehört ihm das Unternehmen. Dass es einmal so kommen würde, hätte er selbst nicht gedacht. Der Vater einer Schulfreundin, ein Unternehmer aus Schwäbisch Gmünd, habe ihn eines Tages angerufen, und gesagt, er habe ein „Fabrikle“ gekauft. Das solle er, damals noch im Vertrieb einer heimischen Brillengestellherstellers, sich doch einmal angucken, „und wenn Dir’s g'fällt, schwätze mer drüber“. Gefallen hat Pfitzer nicht, was er sah: Mit 101 Mitarbeitern an Bord setzte das „Fabrikle“ namens Aeropost in Kernen (Remstal) 2,5 Millionen Mark (heute 1,28 Millionen Euro) um und machte – wen wundert’s bei diesen Relationen – Verlust. Pfitzer, damals ein „35-jähriger Bursche“ ließ sich trotzdem auf den Posten des Geschäftsführers ein und entließ relativ schnell 26 Mitarbeiter („das war eine Katastrophe für mich“). Bei einem der geschassten Aeropostler fand er in der Schublade fast ein halbes Jahr alte, unbearbeitete Aufträge. Schon im ersten Jahr schrieb Aeropost wieder Gewinn, sagt Pfitzer.

Zwei Jahre später arbeitete dem jungen Geschäftsführer ein Glücksfall zu, von dem er heute sagt,es sei das beste Geschäft seines Lebens gewesen: Der österreichische Wettbewerber Aerotrans ging pleite, und Pfitzer konnte die Konkursmasse für 170 000 Mark kaufen. So kamen „viel elegantere“ Sende- und Empfangsstationen zu Aeropost, die zudem eine „geniale Bremsmethode“ verwendeten: Die Büchsen der Österreicher wurden nicht mechanisch gebremst sondern mittels eines Luftpolsters, das sich an einem Schieber bildete.

1996 – der Unternehmer, der Pfitzer einst in den Chefsessel geholt hatte, war mittlerweile verstorben und Aeropost an den Schweizer Ascom-Konzern verkauft – übernahm Pfitzer das frühere Fabrikle im Rahmen eines Management-buy-out, benannte es in Aerocom um und siedelte es in seine Heimatstadt Schwäbisch Gmünd um. Mitarbeiter, die noch in Kernen wohnten und keinen Führerschein besaßen, ließ er zehn Jahre lang jeden Tag mit einem VW-Bus hin- und herkarren. Heute ist das nicht mehr nötig: die meisten der hiesigen 127 Mitarbeiter wohnen vor Ort. Weitere 97 Mitarbeiter beschäftigt Aerocom im Ausland. Der Umsatz hat sich in den gut 15 Jahren seit der Übernahme von 15,3 Millionen Euro auf 32,2 Millionen im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt, und die Geschäfte laufen so gut, dass Pfitzer von einer „erfreulichen“ zweistelligen Umsatzrendite berichten kann.

Wichtig ist vor allem die Internationalisierung

Er hat vor allem auf die Internationalisierung des Geschäftes Wert gelegt und ist um die Welt gereist, um eigene Niederlassungen zu gründen oder geeignete Service- und Montagepartner zu finden. Heute stehen die Anlagen von Aerocom überall auf der Welt: Im King Chulalongkorn Memorial Hospital in Bangkok genauso wie in der Princess Nora University von Saudi Arabien oder in der Clinica Alemana de Santiago (Chile). Der entlegenste Ort mit einer Schwäbisch Gmünder Rohrpostanlage, der Pfitzer einfällt, ist Neukaledonien, irgendwo im Pazifik vor der Nordwestküste Australiens.

Und auch für die Zukunft scheint das Geschäft mit der Rohrpost gesichert: Vor einem Jahr hat Pfitzer die operative Verantwortung an seine beiden Söhne Roland (31), der – so der Vater – schon mit fünf fragte, was er lernen müsse, um mal das machen zu können, „was der Papa macht“, und Rüdiger (33) übergeben. Wachstumschancen gebe es genug, glaubt der Senior. Gerade erschließe Aerocom Schwarzafrika, und auch in China gebe es noch jede Menge Kliniken ohne Rohrpostanlagen. Alleine dort schätzt Pfitzer das Marktpotenzial auf 20 000 Kunden. Und auch technisch seien Rohrpostanlagen durchaus noch nicht am Limit angekommen – vor allem bei der Steuerung lassen sich nach wie vor Verbesserungen realisieren, so dass beispielsweise noch mehr Büchsen gleichzeitig im System kursieren oder mit unterschiedlichen Prioritäten versandt werden können. Von wegen nostalgisch.