Die ärztliche Versorgung auf dem Land ist besser als ihr Ruf. Dennoch wird es in kleineren Gemeinden zunehmend schwerer, einen Hausarzt zu finden. Manche Kommunen lassen sich da was einfallen.

Böblingen - Einen roten Teppich wird die Gemeinde Mötzingen nicht ausrollen, aber alles andere steht bald bereit: nagelneue Räume im Zentrum des Ortes, barrierefreie Zugänge, eine vergünstigte Miete und ein herrlicher Blick auf die Schwäbische Alb. Trotzdem hat sich bislang kein Hausarzt bereit erklärt, sich in Mötzingen niederzulassen. „Die Situation ist schwierig“, sagt Mötzingens Bürgermeister Marcel Hagenlocher. Seit fünf Jahren gibt es in der Gemeinde mit 4000 Einwohnern keinen Hausarzt.

 

So geht es immer mehr Kommunen. Besonders in ländlichen Gegenden ist die hausärztliche Versorgung zunehmend angespannt, auch im Kreis Böblingen. Das zeigt eine Umfrage unserer Zeitung in ausgewählten Kommunen. Nur selten wird der empfohlene Versorgungsgrad von etwa einem Hausarzt für 1800 Bürgerinnen und Bürger erreicht. In Bondorf und Jettingen fehlen je ein Arzt, in Steinenbronn konnte erst vor wenigen Wochen ein zusätzlicher Mediziner gefunden werden, aber auch dort fehlt ein weiterer.

Auch in Städten fehlen Mediziner

Von einer dramatischen Situation kann im Moment nicht die Rede sein. Die zehn angeschriebenen eher ländlichen Kommunen berichten von einer ausreichenden ärztlichen Versorgung. Die gilt auch für Städte: Schaut man auf den vor wenigen Tagen veröffentlichten Bedarfsplan der Kassenärztlichen Vereinigung KVBW, besteht für Böblingen-Sindelfingen und Herrenberg keine Gefahr einer mangelnden Versorgung, lediglich eine Handvoll Hausärzte fehlen. Das wird aber insgesamt von einem dichten Ärztenetz aufgefangen. In Leonberg gibt es genau so viele Hausärzte wie im Planbedarf, nämlich 61.

Trotzdem warnen Experten immer lauter vor einem baldigen Ärztemangel: „Die Zukunft wird dramatisch“, sagt Joachim Rühle, der Vorsitzende der Böblinger Kreisärzteschaft, der bis vergangenen Juli selbst als Hausarzt in Sindelfingen praktizierte. Von seinen früheren 1000 Patienten kennt er immer noch viele, die einen Hausarzt suchten. Das Problem, nicht nur Rühle zufolge: Die Ärzte werden im Schnitt immer älter, nur wenige wollen bestehende Praxen übernehmen. „Die wenigsten Ärzte drängen in die Selbstständigkeit, die meisten arbeiten lieber in städtischen Kliniken“, berichtet er. Dort sei die Bezahlung nicht schlechter, der Aufwand für Bürokratie geringer, auch Teilzeitarbeit sei möglich.

Ein Drittel der Ärzte ist älter als 60 Jahre alt

Laut dem KVBW-Versorgungsbericht gibt es in Baden-Württemberg knapp 7100 Hausärzte. Davon waren ein Drittel älter als 60 Jahre. Mehr als 1300 davon sind älter als 65. Auf zwei den Ruhestand antretende Ärzte müssten drei neue folgen, um den Versorgungsumfang zu erhalten, heißt es aus dem Sozialministerium. Aber die Suche nach Nachfolgern ist schwer, besonders auf dem Land. „Altersbedingt könnte es bei uns zukünftig zur Unterversorgung kommen“, heißt es aus dem Rathaus in Jettingen. In anderen Kommunen klingt das ähnlich. Schließlich muss häufig nur ein Arzt die Gemeinde verlassen, damit es zur Unterversorgung kommt.

Den Gemeinden ist die Lage bewusst. Im Wettbewerb um die wenigen Mediziner, die sich ein Leben im Dorf vorstellen können, setzen viele auf eine bürokratisch vereinfachte Ansiedlung und eine Rundumversorgung der Ärzteschaft. Wie in Mötzingen bauen die Kommunen neue Immobilien als Betreuungshäuser oder haben das bereits getan. In diesen Immobilien können sich auch Zahnärzte und andere Praxen günstig ansiedeln. Daneben stehen häufig Wohnungen für ältere Menschen bereit. Doch auch das wird das Problem nicht grundlegend beseitigen. Experten zufolge müssten sich Patienten auf Dauer mit weiteren Wegen arrangieren – besonders für Ältere ein Problem. In Mötzingen haben Bürger schon vor Jahren einen Verein gegründet, der Fahrten zum Hausarzt ins nahe gelegene Nagold oder nach Bondorf organisiert.

Telemedizin: keinesfalls ein Ersatz

Weitere Hoffnungen knüpfen sich an neue technische Möglichkeiten. Seit geraumer Zeit wird in Baden-Württemberg die Telemedizin erprobt. Konsultationen mit Experten über Computerbildschirme sollen Arztpraxen entlasten und einfache Behandlungen ermöglichen, wie das Landesministerium mitteilt. Doch auch im Ministerium sieht man die Sache nüchtern: Digitale Anwendungen seien immer nur ein zusätzliches Angebot zu stationären Praxen, „keinesfalls ein Ersatz“.

Auf Dauer hilft lediglich ein Umlenken bei der Ausbildung. „Wir brauchen mehr Medizinstudenten“, sagt Joachim Rühle von der Kreisärzteschaft. Dazu sollten die Zugangswege zum Studium liberalisiert werden und mehr derjenigen zum Zug kommen, die sich auch das Leben auf dem Land vorstellen könnten. Doch selbst, wenn solche Vorschläge Anklang fänden, wird viel Zeit vergehen. Etwa zehn Jahre dauert eine Medizinausbildung heute.