Viele Kinderärzte nehmen nur noch Neugeborene als Patienten auf. Und das, obwohl es in Stuttgart statistisch gesehen knapp 30 Prozent Kinderärzte zu viel gibt. Wie kommt das?

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Möhringen - Bei den Kinderärzten gibt es ein echtes Problem. Das ist Peter Teschke zugetragen worden. Er ist der Sprecher des Freundeskreises Integration Fasanenhof. Die Mitarbeiter in den Flüchtlingsunterkünften haben ihm berichtet, dass Eltern für ihren Nachwuchs keinen Termin bekommen. Deshalb dürfen diese Kinder nicht in den Kindergarten, selbst wenn sie einen Platz bekommen, was selten genug der Fall ist. Denn die Aufnahmebögen von Kindergärten beinhalten in aller Regel auch ein Formular, das vom Arzt ausgefüllt werden muss. Gegebenenfalls müssen die Eltern auch nachweisen, dass sie mit ihrem Kind an den obligatorischen U-Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten teilgenommen haben.

 

Dafür brauchen die Mütter und Väter aber einen Termin in der Praxis. Die Betreuer der Unterkünfte im Stadtbezirk Möhringen haben schon bei vielen Ärzten auf der gesamten Filderebene angerufen. Immer bekommen sie die selbe Auskunft: Als neue Patienten werden nur noch Neugeborene aufgenommen.

Statistisch gesehen gibt es gar kein Problem

Das Thema kam auch in der jüngsten Sitzung des Möhringer Bezirksbeirats zur Sprache. „Das ist ein allgemeines Problem“, bestätigte Peter Hinz. Er ist der Vorstandsbeauftragte der am Albstadtweg beheimateten Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg und berichtete über die ärztliche Versorgung in Stuttgart. Der Grund für die überfüllten Praxen sei zum einen, dass die geburtenstarken Jahrgänge der Vergangenheit nun wieder Kinder bekommen. Zudem sei die Zahl der Geburten von 1,4 auf 1,6 Babys pro Frau im Durchschnitt gestiegen. „Insgesamt gibt es also deutlich mehr Kinder als früher“, fasste Hinz zusammen. Gleichzeitig sei die Zahl der obligatorischen Untersuchungen gestiegen. Zu beobachten sei auch, dass Ärzte allgemein heute deutlich weniger Überstunden machen würden. „Früher hat ein Arzt 60 Stunden gearbeitet, heute nur noch 40 Stunden“, sagte Hinz. Das sei verständlich, verschärfe aber das Problem.

Statistisch gesehen gibt es aber gar kein Problem, denn der Grad der Versorgung mit Kinderärzten liegt in Stuttgart bei 128,2 Prozent. Rein formal bedeutet dies, dass es knapp 30 Prozent Kinderärzte zu viel gibt, und das hat wiederum zur Folge, dass sich keine weiteren Kinderärzte in Stuttgart niederlassen dürfen. Ab dem Versorgungsgrad von 110 Prozent gilt eine Niederlassungssperre. „Es gibt aber Notausgänge“, sagt Kai Sonntag. Er ist der Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung. Das heißt: Wenn ein Kinderarzt eine neue Praxis eröffnen wolle, versuche die Kassenärztliche Vereinigung, dies möglich zu machen.

Gesundheitsministerium hat 1993 die Zahl der Arztsitze begrenzt

In absoluten Zahlen bedeutet der Versorgungsgrad von 128,2 Prozent, dass ein Kinderarzt in Stuttgart für 2405 Mädchen und Jungen im Alter von null bis 18 Jahren zuständig ist. „Auch wenn nie alle dieser potenziellen Patienten gleichzeitig krank sind, kann man der Meinung sein, dass das zu viel ist“, räumt Sonntag ein und ergänzt: „Notfälle werden immer versorgt. Aber es gibt eine Diskrepanz zwischen dem guten Versorgungsgrad, den wir in unserer Statistik ausweisen, und der Tatsache, dass Eltern keine Termine bekommen.“ Dies habe seine Ursache zum großen Teil in der 1993 vom Gesundheitsministerium für jede Region festgelegten Zahl an Arztsitzen. Damals ging es um eine Kosteneindämmung. „Die Zahlen, die wir ausweisen, beruhen auf diesem Kontingent. Sie spiegeln nicht wider, was wir für eine gute ärztliche Versorgung brauchen“, sagt Sonntag. Zu ändern sei das nur auf politischer Ebene.

Im Klartext heißt das: „Es gibt Kapazitätsengpässe bei den Kinderärzten“, sagt Sonntag. Er betont aber auch, dass das nicht nur Flüchtlingsfamilien betreffe, was die Sache aber auch nicht besser mache. Neuzugezogenen Familien rät er, beim Thema U-Untersuchung und Kindergarten-Eingangsuntersuchungen den Kreis der Suche zu erweitern.

Kassenärztliche Vereinigung verweist auf Telemedizin

Wer ein krankes Kind hat, aber keinen Arzt, kann sich an die Kassenärztliche Vereinigung wenden. Sie bietet unter der Überschrift „Doc Direct“ Telemedizin an. „Wir verbinden die Eltern telefonisch mit einem realexistierenden Kinderarzt. Wenn bei diesem Gespräch herauskommt, dass das Kind zu einem Arzt sollte, dann besorgen wir für den selben Tag einen Termin in einer Praxis in Stuttgart“, erklärt Sonntag das System.

Teschke stellt die Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung nicht zufrieden. Für die Kinder von Flüchtlingsfamilien sei es elementar, dass sie in einen Kindergarten gehen. „Dort lernen sie Deutsch und dort findet Integration statt“, sagt er.