Zwar sind im Land immer mehr Ärzte und Zahnärzte tätig – allerdings üben immer weniger von ihnen ihren Beruf in freier Praxis aus. Ein Modellversuch soll Abhilfe schaffen.

Stuttgart - In Baden-Württemberg sind immer mehr Ärzte und Zahnärzte tätig – diejenigen, die ihrer Profession in freier Praxis nachgehen, werden jedoch seit einigen Jahren von Jahr zu Jahr weniger. Das gilt für Ärzte wie für Zahnmediziner. Das hat das Statistische Landesamt herausgefunden. So waren Ende 2014 im Südwesten 46 600 Humanmediziner berufstätig, so viele wie noch nie; fünf Jahre zuvor waren es 5000 weniger, zur Jahrtausendwende erst 37 300.

 

In freier Praxis tätige Mediziner werden aber seit 2006 immer weniger gezählt. Waren es damals noch knapp 16 700, sind es 2014 nur noch knapp 15 900 gewesen. Bei Zahnärzten wurden 2014 im Land rund 9000 erfasst, davon bohrten, füllten und implantierten 6600 in einer freien Praxis. Bei den Dentisten ist der Höchstpunkt bereit vor 20 Jahren erreicht worden. 1995 waren knapp 7200 Zahnärzte in freier Praxis am Werk; das waren die allermeisten, denn insgesamt wurden nur 7500 erfasst.

Die Versorgung mit Ärzten ist in den Kreisen unterschiedlich

Wirklich interessant sind die Zahlen freilich erst, wenn sie in Beziehung zur Einwohnerzahl gesetzt werden. Da tun sich in Baden-Württemberg große Unterschiede auf. Im Landkreis Rastatt zum Beispiel kamen am 31. Dezember 2014 auf einen Allgemeinarzt fast 2500 Menschen, im Landkreis Ludwigsburg waren es 2460, im Landkreis Tuttlingen 2450 Köpfe. In Freiburg konnte ein Allgemeinarzt dagegen nur mit 980 potenziellen Patienten rechnen, in Baden-Baden und in Ulm mit jeweils 1240.

Eklatant auch die Unterschiede bei Kinderärzten. Hier betrug die Bandbreite 496 (Heidelberg) bis 2445 (Hohenlohekreis) denkbare Patienten im Alter bis zu zehn Jahren je Kinderarzt.

Die Zahlen machen deutlich, dass das Hauptproblem der medizinischen Versorgung die Verteilung der helfenden Hände übers Land ist. Das Sozialministerium legt jetzt angesichts dieser Problemlage einen Modellversuch auf, der gemeinsam mit der Bevölkerung neue Ansätze zur gesundheitlichen Versorgung entwickeln soll. Die Modellregion besteht aus den Landkreisen Reutlingen, Biberach und Ravensburg. Dort sollen über die Kreisgrenzen hinweg neue Ideen gefunden und ausprobiert werden, wie die ambulanten und stationären Versorgungspfade aufgepeppt werden könnten. Landräte und Oberbürgermeister, Kreis- und Gemeinderäte, aber auch Vertreter von Krankenhausträgern, Krankenkassen und Ärzteverbänden sowie aus dem öffentlichen Gesundheitsdienst, von Gesundheitsfachberufen und der Pflege und nicht zuletzt Bürgerinnen und Bürgern sollen gemeinsam modellhafte Versorgungskonzepte erarbeiten.

Das Sozialministerium hofft auf Erkenntnisse für die Zukunft

Sie sollen aufsetzen auf Vorarbeiten der Versorgungsforscher der Universität Heidelberg. Sie erheben und analysieren etwa, wie häufig die Baden-Württemberger woran erkranken und wie gegenwärtig die medizinische Versorgung mit Haus- und Fachärzten einerseits und mit Krankenhäusern andererseits aussieht. Sie untersuchen Patientenströme und skizzieren den künftig zu erwartenden Versorgungsbedarf.

Schließlich sollen auch Daten an den Schnittstellen zur Pflege sowie zur Gesundheitsförderung und Prävention beigezogen werden. Diese Daten sollen auf Landesebene als auch für die beteiligten Land- und Stadtkreise dargestellt werden.

Auch das Geschehen selbst wird wissenschaftlich begleitet – vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt/Main. Die begleitenden Bürgerdialoge werden durch das Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart unterstützt.

Die Sozialministerin des Landes, Katrin Altpeter (SPD) erhofft sich von dem Prozess Wegweisungen für die künftige Gesundheitsversorgung. Diese stehe vor großen Herausforderungen – demografischen, weil die Gesellschaft immer älter wird, aber auch personellen, weil auch in den Heilberufen Fachkräfte rar werden, und strukturellen, weil das Gesundheitswesen derzeit geprägt sei von einem „Nebeneinander von Über- und Unterversorgung sowie in einer unzureichenden interdisziplinären Kooperation und Vernetzung der Versorgungsstrukturen“.

„Die Entwicklung neuer sektoren- und kreisübergreifender Versorgungskonzepte ist vor diesem Hintergrund von großer Bedeutung, um auch künftig eine leistungsstarke, bedarfsgerechte gesundheitliche und medizinische Versorgung im Land sicherzustellen“, sagt die Ministerin. Das Land stellt dafür eine Million Euro bereit.