Mit der Wahl der Kanzlerin kann endlich auch die Opposition richtig loslegen. AfD, FDP, Linke und Grüne gehen dabei völlig unterschiedliche Wege.

Berlin - Nur wenn richtig regiert wird, kommt auch die Opposition zur Geltung. Mit der Wahl der Kanzlerin werden also auch die vier Oppositionsfraktionen in den Fokus rücken – samt ihren unterschiedlichen Strategien.

 

AfD: Merkel jagen

Als die AfD sich ihres Erfolgs am Wahlabend gewiss war, kündigte ihr Fraktionschef in spe, Alexander Gauland, an: „Wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen.“ In den nackten Zahlen der Bundestagsstatistik schlägt sich das nicht eins zu eins nieder. Die AfD hat beispielsweise bisher 108 Kleine Anfragen formuliert – zum Vergleich: Bei der oppositionellen Linkspartei sind es mehr als doppelt so viele, nämlich 230.

Ein nicht unerheblicher Teil der Oppositionsstrategie der Partei spielt sich allerdings nicht in parlamentarischer Arbeit ab, sondern in der Präsenz im Internet – hier werden Reden und Interviews systematisch verbreitet und so gepusht. Wie wichtig diese Form öffentlicher Wahrnehmbarkeit der Partei ist, zeigt sich auch daran, dass die Fraktion nun einen eigenen Newsroom aufbauen will, in dem sie ihre eigenen Auftritte verbreitet und bejubelt.

Unter Schwarz-Rot kommt der AfD als größter Nichtregierungsfraktion die Rolle der Oppositionsführerin zu. Das hat zum Beispiel zur Folge, dass sie den Vorsitz im zentralen Haushaltsausschuss stellt und dass die Parlamentarier immer die erste Antwort auf Reden der Regierung geben. Aber strategisch macht der Umstand die Positionierung komplizierter: Mit der Verantwortung wächst der Anspruch einer thematisch breiteren Aufstellung. Bisher hat sie sich vor allem den Themen Migrationspolitik, Islamkritik, Europaskepsis gewidmet. Das dürfte nicht mehr reichen.

FDP: Smarte Opposition gewünscht

Für die FDP ist die Oppositionsrolle nicht einfach zu spielen. Sobald sie die Regierung kritisiert, muss sie sich vorhalten lassen, dass sie es ja hätte besser machen können, wenn, ja wenn sie das Jamaika-Bündnis mit CDU, CSU und Grünen gewagt hätte. Andererseits hat die FDP jetzt die Chance, in der Opposition weiter am eigenen Profil zu arbeiten. Man mag es glauben oder nicht – aber mehr als Opposition wollte die FDP eigentlich zunächst gar nicht erreichen, um nicht Gefahr zu laufen, in Regierungsarbeit völlig überfordert ein weiteres Mal gegen die Wand zu laufen. FDP-Chef Christian Lindner hat seine Partei stets davor gewarnt zu glauben, der Prozess der Erneuerung sei mit dem Wiedereinzug in den Bundestag schon abgeschlossen. Die Abgeordneten, überwiegend Neulinge, sind gehalten, zu plakativen liberalen Forderungen seriöse Gesetzesinitiativen zu erarbeiten. „Nicht schrill und erst recht nicht fundamental, sondern smart“, will Lindner arbeiten. Kanzlerin Angela Merkel geht er dabei aber gar nicht smart an. Sie habe es wieder mal geschafft, „mit Geld als Schmiermittel“ eine Regierung zusammenzubauen, die sich vor Richtungsentscheidungen drücke. Lindner will da wie ein Kontrastmittel wirken: als Vertreter einer neuen Generation, die Kanzlerin Angela Merkel alt aussehen lässt.

Linkspartei: Besinnen auf den Markenkern

Für die Linkspartei ist klar, dass es keine Aussichten auf ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis in absehbarer Zeit gibt. Für die Zeit der Opposition hat die Partei sich deshalb erst recht auf ihren Markenkern besonnen. Die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger wollen die Linke als soziales Gewissen der Opposition positionieren. Dass die Grünen ihnen dabei Konkurrenz machen, ficht sie nicht an. „Wir sind die soziale Opposition“, erklärten sie jetzt. Schwarz-Rot steht in den Augen von Kipping für ein „Treten nach unten“ und eine „soziale Kältekammer“. Alles im Koalitionsvertrag sei „zu wenig“ oder „falsch“ oder, wie Riexinger bei der Rentenpolitik ausführte, „ein großer Bluff“. Wo die Grünen konstruktiv-gemäßigt Kritik üben wollen, fluchten die Linken sich auf Fundamentalopposition ein.

Grüne: Kein „Hau den Lukas“

Für die Grünen hat der neue Parteichef Robert Habeck die Devise ausgegeben, dass die Partei die Jahre bis zur nächsten Bundestagswahl nicht in der „Meckerecke“ verbringen möchte. Habeck hat unmittelbar vor dem Amtsantritt der neuen Regierung Merkel ein hohes Ziel gesteckt: Die Grünen sollen Vorschläge präsentieren, „an denen sich die große Koalition abarbeiten muss“. Ob die Ökopartei zum Treiber der Regierungspolitik werden kann, muss sie allerdings erst noch beweisen. Klar ist aber, dass die Grünen mit dieser Haltung für die nächsten Jahre die erfolgreiche Strategie aus dem Bundestagswahlkampf und aus den an der FDP gescheiterten Jamaika-Verhandlungen fortsetzen wollen. Sie setzen auf staatspolitische Verantwortung und eine engagierte Auseinandersetzung in der Sache.

Vor allem dort, wo die Koalition Leerstellen gelassen hat, wie Habecks Tandem-Partnerin an der Grünen-Spitze Annalena Baerbock sie im Klimaschutz diagnostiziert hat. Dem Oppositionsmodell à la „Hau den Lukas“ erteilt die Partei, die die kleinste Oppositionsfraktion im Bundestag stellt, eine klare Absage.