Landtagspräsidentin Aras sieht sich wegen ihres Migrationshintergrundes zunehmenden Angriffen von der AfD – speziell von Fraktionsvize Emil Sänze – ausgesetzt. Deren Kampagne nimmt schon rassistische Züge an. Eine kommentierende Analyse von Reiner Ruf.

Stuttgart - Sehr wahrscheinlich hatte der AfD-Politiker Emil Sänze Recht, als er jüngst behauptete, die Vorfahren von Landtagspräsidentin Muhterem Aras hätten wenig Anteil am großen Sieg Ottos des Großen über die Ungarn gehabt. Das Ereignis liegt mehr als tausend Jahre zurück, 955 triumphierte der König des Ostfrankenreichs und „Urvater der Deutschen“ auf dem Lechfeld bei Augsburg.

 

Seither zog noch vielerlei Volk aus allerlei Ländern entlang von Donau, Rhein oder Neckar durch die deutschen Lande. Ob Ahnen von Frau Aras darunter waren ist wiederum höchst zweifelhaft. Damit verpassten sie, so analysiert der AfD-Mann Sänze, den Dreißigjährigen Krieg ebenso wie die Bismarck’sche Reichsgründung. Niemand ihrer Vorfahren „hat in unserem Land Steuern gezahlt oder in den Kriegen dieses Landes fechten müssen oder in seinen Rückschlägen Opfer gebracht“. Und deshalb, so die messerscharfe Schlussfolgerung Sänzes, AfD-Vizefraktionschef im baden-württembergischen Landtag, sei die Grünen-Politikerin auch nicht legitimiert, sich öffentlich zum Holocaust zu äußern. Zumal es ihr nur darum gehe, „den deutschen NS-Schuldkomplex wieder für ihre politische Migrantengesellschaft-Agenda zu instrumentalisieren“.

Reaktion auf eine Gedenkstättenreise

Sänzes Pressemitteilung stammt von Ende Juli, er reagierte damit auf eine Gedenkstättenreise der Parlamentspräsidentin, die sie unter anderem ins ehemalige Konzentrationslager Natzweiler-Struthof im Elsass geführt hatte. Seither lässt die AfD im Landtag nicht locker, zuletzt beantragte sie eine Sondersitzung des Parlamentspräsidiums. Aras versuche den Holocaust für ihre „parteipolitischen Machenschaften zu instrumentalisieren“, schäumte Rüdiger Klos, ebenfalls AfD-Vizefraktionschef. Die AfD erregt offenkundig, dass die Landtagspräsidentin anlässlich ihrer Gedenkstättenreise der Einschätzung des AfD-Spitzenpolitikers Alexander Gauland widersprach, Hitler und die Nazis seien ein „Vogelschiss“ der ansonsten erfolgreichen tausendjährigen deutschen Geschichte gewesen.

Aras’ vorbildlicher Integrationsweg

Muhterem Aras wurde 1966 in Ostanatolien geboren. Sie kam 1978 nach Stuttgart und durchschritt einen – selbst nach Einschätzung des sonst so kritischen FDP-Fraktionschefs Hans-Ulrich Rülke – vorbildlichen Integrationsweg. Sie besitzt ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft. Nach Ansicht des AfD-Mannes Sänze kann Aras aber als Landtagspräsidentin gar nicht für die Deutschen reden. Der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sagte Sänze, Aras benutze zwar „das ‚Wir‘ als wäre sie hier voll integriert, sie wird aber nie voll integriert sein qua ihrer Herkunft“.

In dieser Äußerung leuchtet nackter Rassismus auf. Denn was anderes als Rassismus ist es, wenn ein Mensch allein seiner Herkunft wegen nicht voll dazugehören darf? Etwa jeder fünfte Einwohner Deutschlands weist einen Migrationshintergrund auf, mehr als die Hälfte davon besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft. Es ist leicht auszumalen, wie Sänzes Äußerungen auf diese Menschen wirkt.

Tausend Jahre Schicksalsgemeinschaft

Sänzes Deutschtum fußt auf tausend Jahren Schicksalsgemeinschaft. Es ist ein überkommenes, ein völkisches Konzept. Nach dem republikanischen Staatsverständnis gehört zur Staatsbürgergesellschaft, wer sich zu den Werten der Verfassung bekennt und die Regeln einhält. Dieses Konzept entspringt dem Geist der französischen Revolution. 1792 verlieh die französische Nationalversammlung die Staatsbürgerschaft an Friedrich Schiller für sein Anti-Tyrannen-Stück „Die Räuber“. Davon, dass Schillers Vorfahren im Hundertjährigen Krieg gegen die Engländer gekämpft hätten oder anderweitig an der franzöischen Staatsbildung beteiligt gewesen wären, ist nichts bekannt. Die Erinnerung an den Holocaust gehört zur Staatsräson der Bundesrepublik. Das Grundgesetz ist ein einziger Kommentar zu den Verbrechen der NS-Diktatur. Als Landtagspräsidentin steht Muhterem Aras von Amts wegen in der Pflicht, das Gedenken lebendig zu halten.

In einer seiner nächsten Verlautbarungen kann Emil Sänze dann ja berichten, was eigentlich seine Ahnen trieben, damals, vor mehr als tausend Jahren, als Otto der Große die Ungarn schlug.