Bei der AfD wird es spannend: Die Kandidatenliste für den Kampf um die Parteispitze wird immer länger – und statt einem stillen Postenpoker hinter den Kulissen steht ein offenes Rennen an. Wer sind die wichtigsten Kandidaten – und wie ticken sie?

Braunschweig - Die Kandidatenliste für den Kampf um die Parteispitze bei der AfD wird immer länger – und statt einer fein hinter den Kulissen austarierten Machtarithmetik steht nun ein Rennen an. Nicht nur in der ersten, auch in der zweiten Reihe herrscht mittlerweile Gedränge. Die Wahlen am Samstag könnten bis in den Abend dauern. Wer will was und warum? Ein Überblick:

 

Jörg Meuthen

Jörg Meuthen (58), Kreisverband Ortenau, ist seit dem legendären Parteitag von Essen 2015 so genannter erster Parteisprecher – so heißen bei der AfD die gleichberechtigten Vorsitzenden. 2017 konnte er ohne Gegenkandidat zur Wiederwahl antreten, das wird diesmal eher unwahrscheinlich. Meuthen, inzwischen Europaabgeordneter, hat sich in den vergangenen zwei Jahren Feinde gemacht und auch die Frage, ob er mit einer irregulären Wahlkampfunterstützung gegen das Parteiengesetz verstoßen hat, ist bis heute nicht aufgeklärt. Mit einer Rede beim Landesparteitag in Heidenheim hat Meuthen den national-sozialen „Flügel“ gegen sich aufgebracht. Sein Ortsverband hat ihn nicht einmal als Delegierten aufgestellt – gegen ihn setzte sich der Landtagsabgeordnete und „Flügler“ Stefan Räpple durch, gegen den derzeit ein Parteiausschlussverfahren läuft.

Nicole Höchst

Nicole Höchst (49), Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Bad Kreuznach in Rheinland-Pfalz will gegen Meuthen antreten und rechnet sich dafür die Unterstützung des „Flügel“ aus. Höchst war Lehrerin. Als „menschenverachtend“ kritisierten Politiker andere Parteien und Sozialverbände eine Kleine Anfrage von Höchst, in der sie von der Regierung wissen wollte, ob es in Deutschland seit 2012 durch Migration mehr schwerbehinderte Kinder gebe. Höchst unterstellte den Zusammenhang mit einer höheren Inzestrate und stellte auf die Kosten ab. Die Sozialverbände richteten sich in einer gemeinsamen Anzeige gegen diese Haltung. Kurz vor dem Parteitag erregte Höchst Aufmerksamkeit mit einer Rede im Bundestag, in der sie die Bundeskanzlerin indirekt mit Hitler verglich. „Der Schnauzer trägt jetzt Raute“, sagte sie.

Wolfgang Gedeon

Wolfgang Gedeon (72), Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg, kündigte am Freitag seine Kandidatur an. Es ist nicht klar, ob er gegen Meuthen oder um den zweiten Sprecherposten kandidiert. Wegen wiederholter antisemitischer Aussagen sind inzwischen zwei Ausschlussverfahren gescheitert, der Parteivorstand will das nicht auf sich beruhen lassen. In seiner Begründung für die Kandidatur wirft Gedeon dem Vorstand vor, es sei skandalös, durch Ausschlussverfahren den Meinungskampf in der Partei zu steuern. Weiter heißt es in dem Text, der Antisemitismus in Deutschland werde durch ein „Heer staatlich bezahlter Antisemitismus-Beauftragter“ aufgebauscht und missbraucht um eine einseitige Geschichtsschreibung zu erreichen. Gedeon fordert, einen „Schlussstrich“ unter die Vergangenheitsbewältigung zu ziehen. Die Antisemitismusdebatte um Gedeon hatte kurz nach der Wahl in Baden-Württemberg zeitweise die Spaltung der Fraktion zur Folge gehabt. Gedeon ist inzwischen fraktionslos.

Alexander Gauland

Alexander Gauland (78), Fraktionschef im Bundestag und zweiter Parteisprecher, will eigentlich den Vorsitz aus Altersgründen abgeben. Schon als er ihn vor zwei Jahren bei einem turbulenten Parteitag in Hannover übernahm, tat er das nur in einer Art Noteinsatz: mit einer Überraschungskandidatur und einer völkischen Rede hatte die inzwischen aus der Partei ausgeschlossene Doris von Sayn-Wittgenstein um ein Haar den Vorsitz errungen. Wegen eines Patts gegen den Berliner Landeschef Georg Pazderski wurde der Wahlgang erneut eröffnet und Gauland trat an. Der Parteimitgründer will als seinen Nachfolger den sächsischen Bundestagsabgeordneten Tino Chrupalla sehen und als Ehrenvorsitzender die Fäden etwa aus dem Hintergrund ziehen – falls es aber im Kandidatengedränge nicht so kommt, schließt er eine erneute Kandidatur nicht aus.

Tino Chrupalla

Tino Chrupalla (44), stellvertretender Fraktionschef im Bundestag und Gewinner eines Direktmandats in Sachsen, ist der von Gauland erwählte und promotete Nachfolger an der Parteispitze, und auch Co-Fraktionschefin Alice Weidel hat sich für ihn ausgesprochen. Meuthen war dazu eher schweigsam. Chrupalla, von Beruf Malermeister, vereint mehrere Kriterien auf sich: als Mann aus dem Osten würde er den in Wahlen erfolgreichen Landesverbänden aus Brandenburg, Sachsen und Thüringen mehr Einfluss an der Parteispitze sichern. Außerdem ist er zwar nicht Mitglied des „Flügel“, kann aber auf dessen Stimmen zählen. Chrupalla mag jovial wirken, setzt aber politisch auf Attacke und verglich die Bundesrepublik wiederholt mit der DDR. Unserer Zeitung sagte er, das Land trage heute Züge einer Diktatur. Hinter vorgehaltener Hand gibt es in der Partei einige, die ihm die Führung nicht zutrauen. Er könnte aber auf die Unterstützung Gaulands aus der zweiten Reihe hoffen.

Gottfried Curio

Gottfried Curio (59), innenpolitischer Sprecher der Fraktion, war in der Woche vor dem Parteitag der erste, der durch seine überraschende Kandidatur das von der Parteispitze erdachte Personalpaket durcheinanderwirbelte. Es ist kein Zufall, dass Curio sich auf Facebook und Youtube an die Partei wandte – er ist über die sozialen Netzwerke zum Star der Basis avanciert. Der habilitierte Physiker verfügt über die Fähigkeit der aufpeitschenden Rede, nutzt grenzverletzende Begriffe, die auch im rechtsextremen Spektrum verwendet werden, und stellt seine Ansprachen zum Thema Migration und Demografie immer sofort ins Netz. Eine verschleierte Frau nannte er einen „Sack, der spricht“ und warnte vor der Selbstauslöschung Deutschlands. In den Wahlkämpfen dieses Jahres war Curio regelmäßig in einer Art Anheizerfunktion vor den jeweiligen Spitzenkandidaten aufgetreten. In seinem Bewerbungsvideo argumentiert Curio indirekt, dass er diese Fähigkeit nutzen könne: Es werde entscheidend sein, so effektiv für die Partei zu sprechen, dass deren Position „weiten Kreisen einsichtig“ gemacht würde. Außer einigen biografischen Grundinformationen ist über Curio auch in der eigenen Fraktion und Partei wenig bekannt. Parteifreunde beschreiben die Schwierigkeit, mit ihm in Kontakt zu kommen.

Dana Guth

Dana Guth (49) ist Parteivorsitzende in Niedersachsen und Fraktionschefin in Hannover. Guth hat ihre Kandidatur noch nicht offiziell erklärt. Sie verzichtet aber als Landeschefin auf die Eröffnungsrede des Parteitags, damit sie eine Bewerbungsrede halten kann, was als Zeichen für eine Kandidatur gewertet wird. Guth bedient sich einer eher zurückgenommenen Sprache, politisch ist sie nicht eindeutig einzuordnen. Gemutmaßt wird, dass die Immobilienkauffrau Stimmen aus dem eher nationalkonservativen, so genannten gemäßigten Teil der Partei abziehen könnte.