Der Machtkampf ist auf dem AfD-Parteitag von Kalkar angekommen. Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen überrascht in seiner Rede mit einer harten Kampfansage und einem scharfen Appell zur Mäßigung - auch an die „Querdenker“ in den eigenen Reihen.

Berlin/Kalkar - Mit einer überraschend harten Kampfansage und einem scharfen Appell zur Mäßigung an die eigene Partei hat der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen am Samstagmorgen den zweitägigen Parteitag im nordrhein-westfälischen Kalkar eröffnet. Vor rund 600 Delegierten rief Meuthen seine Partei auf, sich von Provokateuren und Krawallmachern in den eigenen Reihen zu distanzieren. Die Partei werde nicht mehr Erfolg erzielen, indem sie immer aggressiver, derber und enthemmter auftrete, sagte Meuthen.

 

„Lassen wir ruhig die im Regen stehen, die nur zu gerne rumbrüllen, weil sie sich in der Rolle des Provokateurs gefallen wie pubertierende Schuljungen, um der eigenen Blase zu zeigen, was für tolle Kerle sie sind.“ Mit Blick auf die drohende Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz schloss er auch ein Scheitern der Partei nicht aus: „Entweder wir kriegen hier die Kurve, und zwar bald, oder wir werden als Partei in ganz schwere See geraten“. Auch ein Scheitern der AfD schloss Meuthen nicht aus.

Lücke im Programm der AfD

Mit diesem Auftakt rückte Meuthen direkt zu Beginn der Zusammenkunft den Streit um Macht und Richtung in der Partei nach der Auflösung der extrem rechten Strömung „Flügel“ und dem Rauswurf von deren Frontmann Andreas Kalbitz in den Mittelpunkt. Eigentlich sollte bei dem Parteitag das künftige sozialpolitische Programm der Partei mit einem Rentenkonzept im Fokus stehen. Die AfD hat auch im achten Jahr nach ihrer Gründung hier noch eine Lücke im Programm.

In seiner Rede richtete Meuthen auch heftige Kritik an die Bundestagsfraktion – mit Blick auf die Störaktion durch von Abgeordneten eingelassene rechte Blogger in der Vorwoche sagte Meuthen, solche Vorkommnisse sorgten dafür, dass „Scharen von Menschen“ die AfD nicht mehr wählten. Auch mit dem Engagement von Abgeordneten während der Corona-Proteste aus dem selbsternannten „Querdenker“-Milieu ging Meuthen hart ins Gericht. Dort engagierten sich neben normalen Besorgten auch „Zeitgenossen mit offen systemfeindlichen Ansichten“. Einem Abgeordneten der Fraktion, der am Rande der Demonstration in einen Polizeieinsatz geraten war, warf Meuthen vor, es auf die Auseinandersetzung angelegt zu haben.

Breitseite gegen Alexander Gauland

Eine Breitseite formulierte der Parteichef dabei gegen die Vertreter des aufgelösten radikal rechten „Flügel“ und gegen den Fraktionschef Alexander Gauland: „Einige in unseren Reihen scheinen darunter ein Zurück ins Gestern zu verstehen, fühlen sich bei Bismarck zuhause und verehren geradezu schwärmerisch diese historische Figur.“ Meuthen kritisierte die von Gauland im Bundestag verwendete Formulierung einer „Corona-Diktatur“ und die Bezeichnung des Infektionsschutzgesetzes als „Ermächtigungsgesetz“.

Im Saal wurde, soweit das im Livestream zu beobachten war, nach dieser Rede vergleichsweise zögerlich applaudiert – etliche Delegierte blieben demonstrativ sitzen und klatschten nicht. Vertreter des Flügels machten ihrem Ärger lautstark Luft. Gauland wies Meuthens Kritik zurück. Von einem Parteichef habe er sich ein Signal des Aufbruchs gewünscht, sagte er in einer unmittelbaren Reaktion beim Fernsehsender Phoenix. Er kritisierte Meuthens Rede als „spalterisch“ und eine „Verbeugung vor dem Verfassungsschutz“.

Nachfolger werden gewählt

Am frühen Nachmittag begann die AfD mit der Debatte zu ihrem Rentenkonzept. Parallel wurde aber auf sozialen Plattformen im Internet die Rede Meuthens heftig diskutiert. Die Debatte darum könnte spätestens am Sonntag weitergehen. Dann steht ein Antrag auf der Tagesordnung, Meuthens „spalterisches“ Handeln zu missbilligen.

Am Sonntag wird Kalbitz‘ Nachfolger auf einem Beisitzerposten im Vorstand gewählt. Der Bundesvorstand hatte im Mai dem ehemaligen Flügel-Frontmann Kalbitz im Mai die Mitgliedschaft aberkannt, weil dieser bei seiner Aufnahme frühere Mitgliedschaften bei der inzwischen verbotenen rechtsextremen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) und den Republikanern verschwiegen haben soll. Auch für den langjährigen Schatzmeister Klaus Fohrmann wird ein Nachfolger gewählt.

Maskenpflicht wird durchgesetzt

Der Parteitag findet mitten im Teil-Lockdown als Präsenzparteitag in einer großen Halle auf dem ehemaligen Gelände des Kernkraftwerks „Schneller Brüter“ in Kalkar statt. Wegen der privilegierten Stellung von Parteien im Grundgesetz ist die Veranstaltung trotz der Infektionsschutz-Maßnahmen erlaubt. Mehrere Parteifunktionäre appellierten zu Beginn der Versammlung an die Delegierten, sich strikt an die Maskenpflicht zu halten, die auch am Platz gilt.

Das Ordnungsamt der Stadt Kalkar hatte angekündigt, Verstöße zu ahnden und die Versammlung im Zweifelsfall abzubrechen. Ein Antrag des Freiburger Delegierten Dubravko Mandic, die Presse auszuschließen, damit keine Bilder von Menschen ohne Maske gezeigt würden, wurde mit großer Mehrheit abgelehnt.