AfD-Politiker Räpple und Gedeon Die Verächter des Parlaments

Der AfD-Abgeordnete Stefan Räpple musste vergangene Woche von der Polizei aus dem Plenarsaal geleitet werden. Foto: dpa

Das Treiben der AfD-Politiker im Stuttgarter Landtag hat System: Es soll die staatlichen Institutionen sprengen. Und die Partei hat damit sogar teilweise Erfolg – was auch an der Ratlosigkeit der Verteidiger von Demokratie und Anstand liegt.

Stuttgart - Kommt es erneut zu einem Eklat? Wenn der baden-württembergische Landtag an diesem Mittwoch zusammentritt, entscheidet er über einen Einspruch der beiden AfD-Politiker Stefan Räpple und Wolfgang Gedeon gegen ihren Rauswurf aus dem Plenarsaal. Er soll auch für die nächsten drei Sitzungen gelten.

 

Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) hatte vergangene Woche durchgegriffen, nur stellte sich alsbald die bange Frage: Werden die Abgeordneten den Sitzungsausschluss überhaupt respektieren? Oder sind sie stattdessen gewillt, mit dem ostentativen Betreten des Plenarsaals das Spektakel fortzusetzen?

Rülke kritisiert AfD scharf

In der fraglichen Parlamentsdebatte vor einer Woche, die wegen des Auftretens von Polizeikräften im Plenarsaal bundesweit Beachtung fand, hatte der FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke einige eindrucksvolle Sätze formuliert, die es verdienen, im Zusammenhang zitiert zu werden. Rülke sagte: „Ich bin weiß Gott nicht immer einer Meinung mit der SPD. Aber (. . .) wie Sie (gemeint ist die AfD-Fraktion, Anm. d. Red.) über diese Partei (die SPD) reden, so will ich Ihnen nur eines sagen, meine Damen und Herren: Schauen Sie mal 80 Jahre in unserer Geschichte zurück. Damals saßen die Vorgänger dieser Abgeordneten im KZ, weil sie gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt haben, und die geistigen Vorläufer von Leuten wie Herrn Räpple sind im Stechschritt durch das Brandenburger Tor marschiert.“

Ordnungsruf angefochten

Darüber echauffierte sich der AfD-Abgeordnete Stefan Räpple sehr. Räpple vertritt den Wahlkreis Kehl und gibt als Beruf „freiberuflicher psychologischer Berater“ an. In der von der AfD beantragten Landtagsdebatte hatte der 37-Jährige zuvor die Jugendorganisation der SPD – die Jusos – als „rote Terroristen“ bezeichnet, wofür er einen Ordnungsruf von Landtagspräsidentin Aras erhielt. Nach Rülkes Äußerung rastete Räpple aus und musste nach anfänglicher Weigerung schließlich – ein einmaliger Vorgang im Landtag – polizeilich begleitet den Saal verlassen.

Stefan Räpples Parteifreund Wolfgang Gedeon wollte da nicht hintanstehen. Er traktierte die Parlamentspräsidentin so lange mit herabwürdigenden Anspielungen auf deren Herkunft – „Das ist ein türkisches Parlament, das stelle ich fest!“ und „So können Sie ein Parlament in Anatolien führen, aber nicht in Deutschland“ –, bis auch er umrahmt von Polizisten den Plenarsaal verlassen musste.

SPD als „Koksnasen“ bezeichnet

Gedeon muss als Antisemit gelten. Er behandelt in seinen Schriften die „Protokolle der Weisen von Zion“ als echt. Bei diesen um 1900 zuerst im russischen Zarenreich veröffentlichten Pseudo-Protokollen handelt es sich um das Urbild der Propaganda von der jüdischen Weltverschwörung.

Auch Adolf Hitler bezog sich auf sie. Den Nationalsozialisten diente das Pamphlet als Quelle der Inspiration. Gedeon verließ 2016 die AfD-Landtagsfraktion in der Debatte über seine antisemitische Einstellung, hält aber Kontakt zu Mitgliedern der Fraktion und ist auch noch in der Partei. Ein zweites Parteiausschlussverfahren läuft, nachdem ein erstes gescheitert war.

Stefan Räpple zählt zu Gedeons Freunden in der AfD-Fraktion. Er veröffentlichte im Juli eine Pressemitteilung, in der er die SPD-Abgeordneten als „Koksnasen“ anging, die Grünen als „Antifa-Kiffer“ abtat und den Landtag im Ganzen „als ziemlich faulen Haufen floskelschwingender Parlamentsfüllmasse“ diffamierte.

Gerichtshof beleidigt

Nebenbei beleidigte Räpple den Verfassungsgerichtshof des Landes als „komplett korrumpiert“. Dabei handelt es sich um jenes Gericht, das er bemühen muss, wenn er sich – wie angekündigt – gegen seinen Rauswurf aus dem Saal juristisch wehren möchte. Auch ging Räpple in seiner Pressemitteilung die Politiker der „Altparteien“ als „Volksverräter“ an.

Schlussendlich handelte es sich bei dem Schriftstück um eine Ansammlung klassischer antiparlamentarischer und antidemokratischer Schmähklischees, im Kern um vulgäre Beleidigungen. Jetzt strebt der AfD-Landesverband seinen Parteiausschluss an. Räpple sagt dazu, die Parteibasis stehe hinter ihm.

Zu Gedeons Getreuen in dem Hin und Her um seinen Antisemitismus gehört Emil Sänze. Der AfD-Fraktionsvize widmet Landtagspräsidentin Aras seit Monaten ellenlange Ergüsse, in denen er das Trauma zu bewältigen versucht, das ihm Aras dadurch zufügte, dass sie als Kind türkischer Eltern Parlamentspräsidentin in Baden-Württemberg werden konnte.

Im vergangenen Sommer sprach Sänze ihr das Recht ab, sich öffentlich zum Holocaust zu äußern, zumal es Aras nur darum gehe, „den deutschen NS-Schuldkomplex wieder für ihre politische Migrantengesellschafts-Agenda zu instrumentalisieren“.

Aras kam mit Zwölf nach Deutschland

Zuvor hatte Aras unter anderem das ehemalige Konzentrationslager Natzweiler-Struthof im Elsass besucht. Und sie hatte dem AfD-Spitzenpolitiker Alexander Gauland widersprochen, weil dieser Adolf Hitler und die Nazis als „Vogelschiss“ in einer gloriosen tausendjährigen deutschen Geschichte verharmlost hatte.

Emil Sänze offenbarte bei dieser Gelegenheit ein völkisches Geschichtsverständnis, das nur jene ins Deutschtum einschließt, die an einer tausendjährigen Schicksalsgemeinschaft teilhaben. Sänzes deutsche Zeitrechnung hebt an bei der Schlacht auf dem Lechfeld, bei der Aras’ Vorfahren gefehlt hätten.

Womit Sänze recht haben mag. Nur: Wer kann von seinen Vorfahren sagen, sie seien im Jahr 955 dabei gewesen, als der Ostfrankenkönig Otto bei Augsburg die Ungarn schlug?

Tausend Jahre Geschichte sind ein strenges Kriterium, fasst man die Tatsache ins Auge, dass etwa jeder fünfte Einwohner Deutschlands einen Migrationshintergrund hat. Muhterem Aras zum Beispiel kam 1978 im Alter von zwölf Jahren nach Deutschland, ihre Eltern stammen aus Ostanatolien, „aus einfachsten Verhältnissen“. Sie legte den Hauptschulabschluss ab, kämpfte sich zum Abitur durch, studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hohenheim und gründete ein Steuerberatungsbüro mit zwölf Mitarbeitern.

Rassismus gegen die Präsidentin

In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ teilte Emil Sänze mit, Aras könne als Landtagspräsidentin gar nicht für die Deutschen reden. Sie benutze zwar „das ‚Wir‘, als wäre sie hier voll integriert“, sie werde aber nie voll integriert sein qua ihrer Herkunft.

Diese Äußerung ist ein idealtypisches Beispiel für Rassismus. Denn was anderes als Rassismus ist es, wenn ein Mensch allein seiner Herkunft wegen nicht voll dazugehören darf? Aras besitzt nur die deutsche Staatsbürgerschaft. Gedeon nennt sie „die Dame aus der Türkei“, Räpple spricht von der sogenannten Parlamentspräsidentin.

An all das mag FDP-Fraktionschef Rülke gedacht haben, als er diejenigen, „die im Stechschritt durchs Brandenburger Tor marschierten“, die „geistigen Vorläufer von Leuten wie Herrn Räpple“ nannte. Sozialdemokraten sind keine „roten Terroristen“. Dafür finden sich bei der AfD Menschen, deren geistige Vorläufer einst durchs Brandenburger Tor marschierten.

Kretschmann sieht „extremistische Grundierung“

Da musste Rülke gar nicht den AfD-Abgeordneten Heiner Merz heranziehen, der jüngst in einem Brief an das Umweltministerium – es ging um eine Gremienbesetzung – kundtat: „Quoten nützen übrigens nur unqualifizierten, dummen, faulen, hässlichen und widerwärtigen Frauen.“

Ministerpräsident Winfried Kretschmann, in 30 Jahren Parlamentserfahrung gestählt, erkennt in dem Verhalten von Abgeordneten wie Räpple und Gedeon eine „eindeutig extremistische Grundierung“. Die AfD verfolge eine Strategie der Provokation, mit der sie „Ansehen und Würde des Parlaments beschädigt“. Am Dienstag gaben Gedeon und Räpple bekannt, sie wollten den nächsten Plenarsitzungen fernbleiben, sollte ihr Einspruch abgeschmettert werden. Die „Superprovokation“ (Gedeon) trauen sie sich nicht zu.

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