In Ludwigsburg spricht die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel, vor dem Gebäude demonstrieren 200 Kritiker. Zwei Welten prallen aufeinander, es gibt merkwürdige Szenen.

Ludwigsburg - Es ist 18.30 Uhr am Mittwoch, strömender Regen. Vor der Musikhalle in Ludwigsburg stehen gut 200 Demonstranten mit Transparenten und Megafonen. „Haut ab, haut ab“, skandieren sie. Der Tonfall ist rau. Ein breites Bündnis von der SPD über Gewerkschaften bis zu linken Gruppen hat zum Protest aufgerufen. Die Polizei ist im Großeinsatz, schirmt den Eingang zur Musikhalle ab, trennt linke Aktivisten und die Teilnehmer der Veranstaltung drinnen. Der Grund für den Aufmarsch lässt sich aber nicht blicken: Alice Weidel, die Spitzenkandidatin der AfD, kommt durch den Hintereingang.

 

In der Musikhalle mit ihren runden Bögen des späten Historismus, dem Samtvorhang und goldenen Kronleuchtern herrscht eine ganz andere Stimmung. 350 Anhänger der AfD sind gekommen, kein Platz bleibt frei. Die Schlagzeilen des Tages spielen hier keine Rolle: Wie das Magazin „Zeit“ berichtet, soll Alice Weidel in der Schweiz eine Asylbewerberin schwarz als Haushaltshilfe beschäftigt haben. Und sich in einer Mail rassistisch geäußert haben. „Lügenpresse“ würde man hier zu allem sagen, was der Partei schadet. Als Alice Weidel in den Saal kommt, wird sie mit Jubel empfangen, das Publikum erhebt sich. Ein Interview mit Weidel ist nicht möglich. „Sie muss gleich nach ihrer Rede zum nächsten Termin“, sagt Gottfried Minnich, der Kreisvorsitzende.

Das freundliche Gesicht der AfD

Minnich ist ein zuvorkommender, charmanter Mann, der niemals laut wird. Er ist so etwas wie das freundliche Gesicht der AfD im Kreis Ludwigsburg. Smartes Auftreten, gepflegte Frisur. Er hält die Fäden zusammen, ist höflich zu Journalisten. „Vielen Dank, dass Sie den Mut hatten zu kommen“, begrüßt er das Publikum. Dann sagt er: „Klatschen Sie doch mal für Ihren Nachbarn, und für sich. Das haben Sie verdient.“ Kurz irritiert er die AfD-Mitglieder: Sie sollen doch nach oben auf die Empore und Platz machen für Nichtmitglieder. Nach einer kurzen Phase der Verwirrung betritt Alice Weidel die Bühne. Von draußen ist die Sirene eines Polizeiwagens zu hören, die Demonstration der linken Gegner geht weiter. Doch das Tatütata ist hier ganz weit weg. Alice Weidel entfaltet fern von der Gedankenwelt der Außenwelt ihre eigene Sichtweise, und das Publikum wärmt sich wie in einer Wagenburg an der Vorstellung, es denen da oben mal zu zeigen. Der Regierung, den Altparteien, und Angela Merkel. Immer wenn ihr Name fällt, ist Weidel der Applaus gewiss. Doch zunächst doziert die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin, sagt Sätze wie „Es gibt ubiquitäre Rechtsverstöße“ oder redet über das Europäische Währungssystem. Nicht jeder im Saal versteht das. Doch darum geht es nicht. Weidel zeichnet ein Bild, das jeder versteht: Die Niedrigzinsen enteigneten die Sparer, die Rentner, die Mieter und Häusleskäufer. „Sie kennen doch das Gefühl, wenn immer weniger übrig bleibt, das Geld zerrinnt“, sagt sie. Das versteht jeder im Publikum.

Hier fühlt sich jeder verstanden

Der Beamte, der einfache Arbeiter, der Polizist, die Krankenschwester, sie glauben an die einfachen Parolen: Die ferne EU-Kommission entscheidet über ihr Schicksal, das Recht wird gebogen, Fremde nehmen die Jobs weg, niemand darf die Wahrheit sagen. „Glauben Sie keinem Politiker“, sagt sie. Alle haben sich verschworen, so das Zerrbild. Viele Zuschauer waren noch nie auf einer politischen Kundgebung, klatschen begeistert, manche schauen verzückt zur Rednerin, fühlen sich endlich verstanden.

Alice Weidel verzichtet auf ausladende Gestik, die Hände greifen mal an das schwarze Brillengestell, mal wird der mahnende Zeigefinger erhoben. Die 38-Jährige ist keine Volksrednerin, doch sie kennt die Signalworte und erhebt zum rechten Zeitpunkt die Stimme. Einmal geht sie auf die Kritik ein, die ihr auch in der Partei manchmal entgegen schlug: Wie könne sie, die doch mit einer Frau in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebe, für Familie eintreten? „So ein Blödsinn“, sagt sie.

Merkwürdige Szenen

Als Weidel fertig ist, erhebt sich das Publikum. Bevor der Wahlkreiskandidat Martin Hess harsche bis demagogische Töne anschlägt („Es kann keinen Flüchtlingsbonus bei Gewaltkriminalität geben“) und den Saal zum Kochen bringt, gibt es eine merkwürdige Szene: Ein Mönch in Kutte kommt auf die Bühne, tritt ganz nah an die Rednerin heran. „Und was wollen Sie?“, fragt Alice Weidel. „Mich ganz herzlich bedanken“, sagt er. „Aha“, sagt Weidel. Eine kafkaeske Szene. Die Welt in der Wagenburg, sie ist eine vollkommen andere.