Die AfD nutzt zunehmend Klagen vor Gericht als Mittel der politischen Auseinandersetzung. Dahinter könnte wahltaktisches Kalkül stecken, meint unsere Kolumnistin Katja Bauer.

Berlin - Donald Trump hat schnelle Finger und wenig Hemmungen. Als mächtigster Mann der Welt hat er mit dieser zweifelhaften Fähigkeit die politische Kommunikation revolutioniert: Auf Twitter schießt er scharf und beschimpft die politische Konkurrenz. Trumps sprachliche Verrohung ist nicht nur neu in einem Amt, in dem ein moderierender Stil schon angesichts der Kräfteverhältnisse im Kongress vernünftig wäre. Seit der Präsident so agiert, wird politisch auch die Frage diskutiert, ob die für eine Exekutive nötige Objektivität gewährleistet ist. Amerikaner allerdings kommen nicht auf die Idee, wegen eines präsidialen Tweets zu klagen. Anders hierzulande.

 

Derzeit beschäftigt sich das Berliner Landesverfassungsgericht tatsächlich mit einem Politikertweet. Geklagt hat die AfD. Das Gericht muss kommende Woche über die Frage entscheiden, ob folgende Aussage in Ordnung ist: „Zehntausende in Berlin heute auf der Straße, vor dem Brandenburger Tor und auf dem Wasser. Was für ein eindrucksvolles Signal für Demokratie und Freiheit, gegen Rassismus und menschenfeindliche Hetze.“ So hatte der Regierende Bürgermeister Michael Müller im vergangenen Mai eine große Demonstration in seiner Stadt kommentiert. Der Haken daran: Die Demonstranten protestierten gegen die AfD und Müller äußerte sich in seiner Eigenschaft als Regierungschef. Die AfD hält Müller vor, das Neutralitätsgebot seines Amtes zu verletzen. Sie will feststellen lassen, ob sie im politischen Wettbewerb benachteiligt wird.

Jedem ist das Recht zur Klage unbenommen

Das klingt sensibel für eine Partei, die ansonsten häufig für sich über eine inakzeptable Einschränkung der Meinungsfreiheit klagt, sobald ihre Positionen nicht unwidersprochen bleiben. Kann es sein, dass sich in letzter Konsequenz ein Ministerpräsident im Amt nicht gegen Rassismus aussprechen darf, den er in einer anderen Partei sieht? Von der Gerichtsentscheidung hängt einiges ab. Amtsträger in Städten und Gemeinden werden sich fragen, wie sie sich künftig äußern, ob sie sich bei Bürgerbündnissen engagieren können. Es handelt sich nicht um die einzige Klage der AfD, im Gegenteil, die Partei nutzt dieses Instrument zunehmend. Mal geht es um eine – bislang erfolglose – Klage gegen die Flüchtlingspolitik der Koalition. Meistens aber geht es darum, dem politischen Gegner dort, wo er öffentliche Ämter bekleidet, Schranken zu setzen. Es gab eine – erfolglose – Klage gegen Berlins grünen Justizsenator wegen angeblich fehlender Neutralität in einer Äußerung und eine erfolgreiche gegen die Stadt Münster, welche kürzlich die Außenbeleuchtung am Rathaus beim Neujahrsempfang der Partei ausgeschaltet hatte. Es gab mehrfach Klagen gegen Absagen von Veranstaltungsräumen. Seit vergangener Woche geht die Partei juristisch gegen den Verfassungsschutz vor, weil dieser seine Einschätzung veröffentlicht hat, dass die Partei ein „Prüffall“ sei. Auch hier sieht sich die AfD im Wettbewerb benachteiligt.

Jedem ist das Recht zu einer Klage unbenommen. Aber die auffällige Sammlung der Fälle, mit der die AfD Gerichte bemüht, legt nahe, dass nicht die juristische Klärung das Ziel der Übung ist. Wenn die politische Auseinandersetzung systematisch in Gerichtssäle hinein erweitert wird, dann erzeugt man damit den erwünschten Eindruck, als Hüter der Demokratie gegen einen verkrusteten Staat zu kämpfen. Im Wahljahr kommt dieser sehr gelegen.

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Am nächsten Dienstag lesen Sie hier die Kolumne von Sibylle Krause-Burger.