AfD vor Landtagswahl in Thüringen Wie sich Björn Höcke im Wahlkampf feiern lässt

Im Wahlkampf tritt Björn Höcke auf sogenannten „Sommerfesten“ seiner Partei auf. Foto: IMAGO/Karina Hessland/IMAGO/KH

Vor der Landtagswahl in Thüringen liegt die AfD in den Umfragen ganz vorn. Ihre Spitzenkandidat Björn Höcke ist das bekannteste Gesicht der AfD. Im Wahlkampf gibt sich der Rechtsextremist familienfreundlich – und radikal.

Berliner Büro: Rebekka Wiese (rew)

Die Frau ist allein gekommen. Altershelle Haare, akkurater Lippenstift, beige Handtasche. Sie bahnt sich ihren Weg durch die Menschentraube, kommt näher, bleibt stehen, zögert kurz. Dann fragt sie: „Entschuldigung, wissen Sie, wann der Höcke kommt?“

 

Sonntagnachmittag auf dem Marktplatz von Bad Frankenhausen, einem Ort im Norden Thüringens, fast an der Grenze zu Sachsen-Anhalt. Eine ordentliche Kleinstadt, Blumenkübel an den Straßenlaternen, Fachwerkhäuser an schmalen Gassen. Und an diesem Nachmittag: ungewöhnlich viele Leute, mehrere Hunderte, zumindest auf dem Marktplatz. Denn Björn Höcke kommt.

AfD in Thüringen ganz vorn

Am nächsten Sonntag sind Landtagswahlen in Thüringen. Am selben Tag stimmen auch die Sachsen über ihr Parlament ab. In beiden Ländern liegt die AfD weit vorn, in Sachsen etwa gleichauf mit der CDU, in Thüringen deutlich vor allen anderen Parteien. Man kann fast sicher davon ausgehen, dass die Partei hier stärkste Kraft wird – und das mit Björn Höcke als Spitzenkandidaten.

Höcke ist Fraktionschef der AfD in Thüringen. Aber er ist deutlich mehr als das: Er ist das bekannteste Gesicht der Partei, ihre radikalste Stimme, für lange Zeit war er einer ihrer wichtigsten Strippenzieher. Immer wieder mussten Bundesvorsitzende der Partei lernen, dass man an Höcke nicht vorbeikommt. Wenn einer der Parteichefs zurücktreten musste, dann lag das auch an Höcke. Bernd Lucke, Frauke Petry, Jörg Meuthen – sie alle begannen irgendwann, sich vor der Radikalisierung ihrer eigenen Partei zu fürchten, für die Höcke sich stets einsetzte. Sie alle mussten gehen. Höcke aber ist geblieben. Inzwischen scheint seine Macht jedoch zu wanken. In seinem Landesverband gibt es offene Kritik an ihm, in der Bundespartei würde man ihm auch nicht nachtrauern.

Der derzeit bekannteste Rechtsextremist Deutschlands

Doch für den Wahlkampf in Thüringen spielt das kaum eine Rolle. Hier zählt vor allem eines: Björn Höcke ist der derzeit am meisten gefeierte und der bekannteste Rechtsextremist Deutschlands. Und er ist der Mann, dem laut den Umfragen knapp ein Drittel aller Thüringer ihre Stimmen geben wollen. Einige von ihnen stehen an diesem Sonntag auf dem Marktplatz in Bad Frankenhausen.

„Sommerfest“ nennt sich die Veranstaltung, zu der die AfD auf den Marktplatz eingeladen hat. Fünf Festzelte, ein Bierstand und eine kleine Bühne. Es gibt Bratwurst vom Grill für drei Euro, Steak für fünf. Die Menschen hier essen und trinken, sie plaudern, gucken, warten. Männer mit kurzen Haaren und breiten Schultern stehen zusammen, Frauen mit verschränkten Armen, dazwischen springen ein paar Kinder durch die Menge. Es gibt blaue Zuckerwatte und blaue Eisgetränke, blau wie das Logo der AfD. Und noch etwas verteilt die Partei für die Kinder: Mit Helium gefüllte Luftballons, sie haben die Form von Abschiebeflugzeugen. Ganz hinten haben sich ein paar Jugendliche versammelt, nicht wenige mit Seitenscheitel.

Neonazi-Parolen und Alltagskleidung

„Deutschlandtreu“ steht auf dem T-Shirt eines staksigen Teenagers, „Alles für Thüringen – Deutschland für alles“ auf dem eines Mannes. Zwei Besucher tragen das Logo der Neonazi-Partei „Der Dritte Weg“ auf der Brust, „National, revolutionär, sozialistisch“ ist auf die Rückseite geschrieben. Insgesamt aber: die meisten Menschen in alltäglicher Kleidung, bunte Oberteile, Jeans und flache Schuhe.

So wie auch die Frau, die sich fragt, wann denn nun der Höcke spricht. Ein paar andere Redner sind schon aufgetreten. Aber schwer zu sagen, wann nun Höcke kommt. „Wissen Sie“, sagt die Frau und beugt sich nun noch weiter vor. „Ich bin aus Neugier hier. Wählen würde ich den nicht. Wenn ich Höcke reden höre, dann höre ich Goebbels. Sagt Ihnen das was?“ Sie meint Joseph Goebbels, Reichspropagandaleiter im Nationalsozialismus. Sie sei selbst aus Bad Frankenhausen, sagt die Frau. Und ja, sie kenne einige Leute hier auf dem Platz. „Von manchen weiß ich aber, dass sie nie AfD wählen würden.“

39 Prozent für die AfD

Allerdings sind es viele, die in Bad Frankenhausen schon AfD gewählt haben. Bei der Europawahl waren es hier knapp 39 Prozent. Und es gibt keinen Grund, weshalb die Partei in der Landtagswahl abrutschen sollte. Fragt man Leute in Bad Frankenhausen, warum sie die AfD wählen, bekommt man verschiedene Antworten, die doch altbekannt klingen. Einer beklagt die schlechte Lage der Wirtschaft. Andere sprechen über Migration. Sie hätten nichts gegen Ausländer. Aber wer kommt, der müsse arbeiten, sich an Regeln halten.

Das klingt erstmal gar nicht so radikal, eher konservativ. Und warum nicht CDU? „Die sind mir schon lange zu links geworden“, sagt ein Mann. „Die haben doch nur von der AfD abgeschrieben“, sagt eine Frau. Protest nennt niemand von ihnen als Grund. Sie wollen die AfD – eine Partei, von der bekannt ist, dass sie in weiten Teilen rechtsextremistisch ist. Doch das stört die Leute offenbar nicht. Oder vielmehr: Sie scheinen es überhaupt nicht wahrzunehmen.

Anspielungen auf nationalsozialistische Begriffe

Dabei ist es gerade bei Höcke unstrittig, dass er rechtsextremistische Positionen vertritt. In seinen Reden und Schriften finden sich immer wieder Begriffe, die deutliche Anspielungen auf die nationalsozialistische Sprache sind, oft nur leicht abgewandelt. Es ist ihre Ideologie, die er damit immer wieder in seine Reden einstreut.

Es ist kurz nach halb vier, als Höcke dann in Bad Frankenhausen auf die Bühne tritt. Ein Mädchen stellt sich auf die Zehenspitzen, enttäuscht lässt sie sich wieder sinken, sie kann nichts sehen. Viele haben sich jetzt nach vorn zur Bühne gedrängt, sie reißen die Arme hoch und klatschen, sie rufen Höckes Namen, immer wieder: „Hö-cke, Hö-cke, Hö-cke!“ Es dauert ein paar Augenblicke, bis er sprechen kann, die ersten Worte gehen im Jubel unter.

Während Höcke dort auf der Bühne steht, kann man noch nicht ahnen, dass er wenige Tage später seine Teilnahme an der letzten Debatte aller Spitzenkandidaten in diesem Wahlkampf „aus gesundheitlichen Gründen“ absagen wird. Dafür sollte Höcke eigentlich am Mittwoch bei „ntv“ auftreten. Doch wie der Sender meldet, sagt ein Sprecher den Termin am Mittwochvormittag ab. Schon am Montag habe Höcke zunächst aus „privaten Gründen“ zurückziehen wollen, schreibt „ntv“ in einer Meldung. Dafür habe er sich später entschuldigt und wieder zugesagt. Am Mittwoch habe er dann mitteilen lassen, dass er „aus gesundheitlichen Gründen“ ausfällt.

„Partei der Jugend“

Auf dem Marktplatz lässt sich Höcke noch feiern. Er beginnt mit einer Spitze gegen die anderen Parteien, die „Kartellparteien“, wie er sie neuerdings nennt. Zu denen würde niemand auf ein solches Fest kommen, behauptet er und lacht. Dann spricht er erstmal lange über junge Menschen. Seine Partei bezeichnet er als „Partei der Jugend“. Es ist gar nicht so klar, woran er das inhaltlich festmacht. Aber er erinnert an das AfD-Ergebnis in Umfragen bei unter 18-Jährigen zur Europawahl. 48 Prozent der befragten Minderjährigen in Thüringen hätten der AfD ihre Stimme gegeben.

Höcke redet frei, braucht keine Notizen, läuft über die Bühne, blickt direkt ins Publikum. Es ist ein Rundumschlag, den er da liefert, es geht ihm einmal mehr um alles. Er behauptet, dass die Demokratie nicht mehr funktioniere und die Medien gleichgeschaltet seien. Er spricht über Familienpolitik („‘Ja‘ zum Kind, liebe Freunde!“), über die niedrigen Renten („Ist das nicht eine Schande?“) und den Bildungsverfall („Wir werden die Schulen entmultikulturalisieren!“).

Ein klassischer Höcke-Satz

„Jetzt will ich kurz zu dem kommen, was in Solingen passiert ist“, sagt er irgendwann. Darüber redet er aber kaum, sondern über diejenigen, denen er die Schuld daran gibt: über die „Bunten“. „Dieses Vielfaltsgeschwätz, ich kann es nicht mehr hören“, ruft er. „Wir sind ein gewachsenes Volk über Jahre und Jahrzehnte und Jahrhunderte!“ Ein klassischer Höcke-Satz – harmlos für sich, ideologisch in seiner Konsequenz. Es sind völkische Ideen, die er hier anklingen lässt.

Fast eine Stunde wird Höcke auf dem Marktplatz sprechen. Als er endet, verlässt er die Bühne unter lautem Jubel. Danach bildet sich eine lange Schlange, die Leute stehen an, um sich mit Höcke fotografieren und sich Autogramme geben zu lassen. Die Frau, die ihn mit Goebbels verglichen hat, ist nicht mehr zu finden.

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