Die Grünen fordern einen Untersuchungsausschuss, weil gegen G 36-Kritiker sogar der MAD ausrücken sollte. Zwar kam es nicht dazu. Doch die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen steht jetzt selbst unter Beschuss.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Es scheint ziemlich sicher, dass es einen Untersuchungsausschuss zum Bundeswehr-Standardgewehr G36 geben wird. Anders, als bei solchen Ausschüssen üblich, hält ihn in diesem Fall aber auch die zuständige Ministerin Ursula von der Leyen für notwendig, obwohl es auch um ihre Amtsführung und Aufsichtspflichten geht. Damit hat Verteidigungsministerin von der Leyen (CDU) an diesem Donnerstag nicht nur die Opposition, sondern auch die Koalitionäre überrascht. Noch bevor der Fraktionschef der Grünen, Anton Hofreiter, und die Verteidigungsexpertin der Fraktion, Agnieszka Brugger, einen Untersuchungsausschuss forderten, hatte von der Leyen selbst vorauseilend befunden: „Wenn das Parlament sich dieser Angelegenheit im Rahmen eines Untersuchungsausschusses annehmen möchte, ist dies sein gutes Recht.“

 

Der Grund dafür ist, dass die Debatte um das Gewehr über Nacht eine völlig andere Stoßrichtung bekommen hat: Ging es in den Wochen und Tagen zuvor um die Treffsicherheit des G36 in heißgeschossenem Zustand, steht jetzt im Vordergrund, dass Verantwortliche von Heckler & Koch und aus dem Verteidigungsministerium wegen der kritischen Medienberichte sogar den Bundeswehrgeheimdienst MAD einsetzen wollten. Die Firma hat das am späten Nachmittag zwar zurückgewiesen. Dass diverse Vertreter des Ministeriums dies aber genau so verstanden und zum Teil auch unterstützt haben, geht aus den Unterlagen hervor. Die waren noch „geheim“ gestempelt, als der Verteidigungsausschuss am Mittwoch darüber beriet; am Donnerstag, als erste Berichte über die neuen Vorwürfe öffentlich geworden waren, wurde die Geheimhaltung jedoch aufgehoben.

Die Schlapphüte der Truppe sollten gegen Kritiker aktiv werden

Welche Fakten enthalten diese Unterlagen? Der geschäftsführende Gesellschafter von Heckler & Koch soll demnach den MAD ersucht haben, wegen der vermeintlich gezielten Kampagne gegen das Gewehr und das Unternehmen, aktiv zu werden. Der Chef des MAD, Ulrich Birkenheier, habe dies sofort abgelehnt, weil er keine Anhaltspunkte für eine Zuständigkeit seines Dienstes gesehen habe. Das war im November 2013. Anfang Dezember engagierte sich der damalige Abteilungsleiter Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung, Detlef Selhausen, brieflich noch einmal für einen Einsatz des MAD in dieser Angelegenheit. Er zeigte sich verwundert über das vorherige Nein des MAD-Chefs. Seine Begründung: Es gebe den Verdacht, dass ausländische Nachrichtendienste möglicherweise mit Hilfe von Bundeswehrangehörigen falsche und irreführende Informationen über das Gewehr und seinen Produzenten in die Welt setzten. Diese seien geeignet, die wirtschaftliche Lebensfähigkeit des Unternehmens so weit zu untergraben, dass eine Übernahme drohe. Heckler & Koch wird eine „systemische Bedeutung“ für die Bundeswehr zugeschrieben.

Zwar war die Ministerin noch nicht im Amt, als der Abteilungsleiter seine heikle Botschaft an den MAD-Präsidenten schickte. Im März 2014 landete in ihrem Büro jedoch ein 25-seitiger Bericht mit dem Titel „Genese G36“. Darin wird der Vorgang unter der Überschrift „Einschaltung MAD“ beschrieben. Dass der Bericht von einem Mitarbeiter ihres Büros abgezeichnet wurde, steht fest. Angeblich hat sie selbst davon aber erst im Frühjahr 2015 Kenntnis erhalten.

„Ministerin von der Leyen kann sich nicht rausreden“

Deshalb kommt die Affäre, die nach Ansicht der Grünen-Politikerin Agniesczka Brugger jetzt endgültig zum Skandal geworden ist, von der Leyen selbst erstmals nahe. Die Ministerin verwies deshalb darauf, dass sie Selhausen bereits seines Postens enthoben und versetzt habe. Sie versprach auch weitere Aufklärung darüber, wie es zu dem Vorgang kommen konnte – die Vorkommnisse in ihrem Büro schloss sie dabei ausdrücklich ein. Sollten weitere personelle oder strukturelle Konsequenzen nötig sein, „werden diese gezogen“, sagte sie.

Darauf allerdings wollen sich die Grünen und mit etwas gebremstem Elan auch die Linken nicht verlassen. „Das Ausmaß von Filz zwischen Ministerium und Rüstungsindustrie, das im letzten Ausschuss deutlich geworden ist, und der Versuch, Kritik am G36 mit Hilfe des Geheimdiensts zu unterdrücken, erfordert das schärfste Schwert der parlamentarischen Aufklärung“, sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Nicht nur von der Leyens Vorgänger Thomas de Maizière (CDU), sondern auch von der Leyen müsse aussagen. „Ministerin von der Leyen kann sich nicht rausreden, dass sie die Unterlagen nicht gelesen hat“. Er sei „guter Hoffnung“, dass man mit den Linken einig werde. Gregor Gysi will zwar nicht allzu lang „über ein altes Gewehr reden“, signalisiert aber die Bereitschaft seiner Fraktion, einen knapp und präzise gefassten Untersuchungsauftrag mitzutragen. Der SPD-Politiker Rainer Arnold ist überzeugt, „dass bei personellen Konsequenzen noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht ist“; einzig die Union erklärt, dass sie einen Untersuchungsausschuss für unnötig hält, da die Ministerin eh für Transparenz sorge.