Sozialministerin Kathrin Altpeter (SPD) fordert aufgrund der „massiven Vorwürfe“ gegen das Herzentrum in Konstanz harte Konsequenzen. Die AOK und andere Kassen überprüfen bereits den Versorgungsauftrag.
Konstanz/Kreuzlingen – Die Affäre um das grenzüberschreitende Herzzentrum in Konstanz und Kreuzlingen hat nun auch die Landesregierung von Baden-Württemberg erreicht. Sozialministerin Kathrin Altpeter (SPD) verlangt, dass die Vorwürfe „restlos aufgeklärt“ werden. Die Staatsanwaltschaft Konstanz hat ihre seit Mai andauernden Ermittlungen inzwischen auf den Chefarzt der Herzchirurgie ausgeweitet. Es gehe um die Verwendung von 47 nicht zugelassenen Herzklappen. Des Weiteren gelten der Ärztliche Direktor und der Klinikchef als Beschuldigte. Sie sollen Ärzte ohne Approbation beschäftigt haben sowie Sozialversicherungsbeiträge im großen Stil vorenthalten haben.
Die Stuttgarter Zeitung und SWR Info hatten aufgedeckt, dass an dem privaten Herzzentrum seit Jahren millionenschwere Insidergeschäfte über die konzerneigene Handelsfirma Proventis im steuerbegünstigten Schweizer Kanton Zug laufen sollen, von denen die Klinikverantwortlichen profitieren und die zu Lasten der Krankenkassen und anderer Kostenträger gehen sollen. In dieser Sache ermittle man nicht, teilte die Staatsanwaltschaft Konstanz mit. Das sei gegebenenfalls Sache der Kollegen in der Schweiz. Die Verantwortlichen haben alle Vorwürfe zurückgewiesen.
Sozialministerin Altpeter sagte, die „massiven Vorwürfe“ ließen erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit der Klinikverantwortlichen aufkommen. Würden sich die in den Medien dargestellten Vorgänge am Herzzentrum bestätigen, sagte Altpeter weiter, „muss dies Konsequenzen für den Versorgungsauftrag haben“.
AOK Baden-Württemberg stellt Versorgungsauftrag in Frage
Die AOK Baden-Württemberg, die zusammen mit anderen Kassen diesen Versorgungsauftrag mit dem deutschen Herzzentrum in Konstanz geschlossen hat, ist dazu offenbar entschlossen. Sie „hat in Abstimmung mit den anderen Krankenkassen“ eine Nachprüfung eingeleitet. Man wolle sehen, „ob die Grundlage für den gemeinsamen Versorgungsauftrag mit dem Herzzentrum Bodensee (. . .) noch gegeben sind“.
Die Staatsanwaltschaft Konstanz geht inzwischen davon aus, dass zwischen März 2008 und Februar 2011 insgesamt 47 Patienten aus Bayern, Hessen und Baden-Württemberg in Deutschland nicht zugelassene, menschliche Herzklappen eingesetzt worden sind. Die Klappen waren aus Tschechien importiert worden. Bei den implantierten Herzklappen handelt es sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft um „gespendete menschliche Klappen aus einer Herzklappenbank eines Universitätskrankenhauses in Prag.“
Sie waren nicht vom Paul-Ehrlich-Institut, dem zuständigen Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, überprüft worden und somit offensichtlich illegal nach Deutschland importiert und eingesetzt worden. „Alle Patienten werden derzeit an ihrem Wohnort von Polizeibeamten aufgesucht und über den Sachverhalt informiert“, teilt die Behörde weiter mit.
Chefarzt schon einmal wegen Herzklappen verurteilt
Gegen den verantwortlichen Chefarzt der Herzchirurgie hat die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz eingeleitet. Der 53-Jährige ist einschlägig vorbelastet. Wie der ermittelnde Staatsanwalt Peter Eitze gegenüber der Stuttgarter Zeitung bestätigte, war der Chefarzt bereits 2007 wegen der Verwendung menschlicher Herzklappen zu einer Geldbuße verurteilt worden.
Der Herzchirurg bezog die menschlichen Ersatzteile, Homografts genannt, aus seiner Heimat Südafrika über die Firma Southern Cryoscience. Südafrikanische Medien berichteten, dass Cryoscience mindestens 120 Herzklappen nach Deutschland geliefert haben soll. Daran beteiligt war die National Tissue Bank, ein Gewebe-Institut in Pretoria mit zweifelhaftem Ruf. Dort seien die Klappen konserviert worden. Die Klappen sollen Toten entnommen worden sein, hieß es damals in südafrikanischen Zeitungsberichten. Mitarbeiter von Leichenhallen und Bestattungsunternehmen sollen Geld erhalten haben, um Spender zu finden.
Empfänger der Sendungen mit humanen Ersatzteilen waren neben weiteren großen deutschen Herzkliniken auch das Herzzentrum Bodensee in Konstanz. Unklar ist, ob die nun eingesetzten 47 Herzklappen wieder aus Südafrika stammen. Insider fragen sich auch, wie sorgfältig die Staatsanwaltschaft damals ermittelt hat. „Er hat einen Warnschuss bekommen. Den hat er offensichtlich nicht verstanden“, sagt Oberstaatsanwalt Eitze.
CHC Holding und Dierk Maass steuern die Kliniken
Das private Herzzentrum Konstanz/Kreuzlingen gehört zu der in Kreuzlingen ansässigen CHC Holding AG. Sie wird kontrolliert von Dierk Maass, dem Ärztlichen Direktor der Klinik. Das Kreuzlinger Herz-Neuro-Zentrum Bodensee AG wurde 1992 gegründet, die Konstanzer Herz-Zentrum Bodensee GmbH 1996. 1997 nahm sie den Betrieb auf.
Beide Kliniken beschäftigen rund 300 Mitarbeiter und behandeln im Jahr 4500 Patienten stationär und rund 5500 ambulant. Zum Konstrukt zählen die in Oberägeri/Kanton Zug ansässige Handelsfirma Proventis und der in Konstanz und Kreuzlingen angemeldete private Rettungsdienst Rescuemed.
Die Konstanzer Klinik hatte keine Kassenzulassung und durfte deshalb nur Privatpatienten und Notfälle behandeln. Erst im Jahr 2002 und nach einer Klage beim Landessozialgericht wurden insgesamt 30 kardiologische und herzchirurgische Betten genehmigt. An der Genehmigung maßgeblich beteiligt war der damalige Konstanzer CDU-Landtagsabgeordnete Andreas Hoffmann.