Der Streit um Pressefreiheit wird zur Staatsaffäre: Zuerst wirft Generalbundesanwalt Range Justizminister Maas vor, die Justiz zu behindern. Der widerspricht und macht kurzen Prozess.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

München - Das Kaliber, mit dem Harald Range nun zurückgeschossen hat, ist durchaus mit dem zu vergleichen, das den Generalbundesanwalt am Freitag getroffen hat. Als Gefährdung der Pressefreiheit sind die Ermittlungen gegen „Netzpolitik.org“ da bezeichnet worden. Nun sieht Range die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet, wirft seinem Dienstherren vor, auf die Ermittlungen Einfluss zu nehmen, und schickt die Kommentierung des Vorganges gleich hinterher: „unerträglich“ sei das. Die Äußerung war eine Bewerbungsrede für den vorzeitigen Ruhestand. Ganz richtig war sie nicht.

 

Die Bundesanwaltschaft ist eine komplizierte Behörde, bei der die reine Lehre der Gewaltenteilung an ihre Grenzen stößt. Funktional ist die sie ein Organ der Strafrechtspflege, den Gerichten zugeordnet und in die Justiz eingegliedert. Der Generalbundesanwalt als Chef der Einrichtung ist jedoch nicht Teil der Recht sprechenden Gewalt. Er gehört zur Exekutive. Wenn es um Fragen des Staatsschutzes geht, dann ist die Bundesanwaltschaft zwar die oberste Strafverfolgungsbehörde des Landes. Das steht so im Gerichtsverfassungsgesetz. Der Generalbundesanwalt ist jedoch in jedem Fall ein politischer Beamter. „Fortdauernde Übereinstimmung mit den kriminalpolitischen Ansichten der Regierung“ sehen die beamtenrechtlichen Grundsätze für dieses Amt vor. Andernfalls kann der Behördenchef jederzeit entlassen werden – wie es am Abend auch geschehen ist.

Im Spannungsfeld zwischen Politik und Recht

Dass Bundesanwälte oft in einem Spannungsfeld aus gesetzlichen Erfordernissen und politischen Vorgaben agieren, wurde besonders deutlich bei Ranges Vorvorgänger Kay Nehm. Der hatte sich nach den Anschlägen vom 11. September in den USA unter Verweis auf die Gesetzeslage geweigert, bestimmte Ermittlungen gegen einen mutmaßlichen Verdächtigen zu führen, musste sich dann aber fügen. Nun verweist das Justizministerium darauf, dass es in den vergangenen Jahren nie in einem Ermittlungsverfahren von seinem Weisungsrecht Gebrauch gemacht habe. Wenn man den Worten des Generalbundesanwaltes Glauben schenken darf, dann hat sich das zu Beginn der Woche geändert. „Mir wurde die Weisung erteilt, das Gutachten zu stoppen. Dem bin ich nachgekommen“, erklärte Range am Morgen. Sein Dienstherr kommt am Abend mit der Replik, dass das nicht stimme.

Besagtes Gutachten ist die zweite von insgesamt drei Expertisen, die verschiedene Stellen zu verschiedenen Zeiten angefordert haben. Geklärt werden soll darin die Frage, ob es sich bei Veröffentlichungen von „Netzpolitik.org“ um Landesverrat handelt. Der Internetblog hatte im Februar und April des Jahres von Bestrebungen des Verfassungsschutzes berichtet, im Netz Spionage zu betreiben. Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hatte daraufhin Strafanzeige erstattet und ein erstes Rechtsgutachten vorgelegt. Das soll belegen, dass es sich bei den veröffentlichten Informationen um Staatsgeheimnisse handelt. Das zweite Gutachten, das später von der Bundesanwaltschaft in Auftrag gegeben wurde und das nach Intervention des Justizministeriums nun gestoppt wurde, soll zu dem gleichen Ergebnis gekommen sein. Eine dritte Expertise hat das Bundesministerium der Justiz Ende vergangener Woche veranlasst. Es steht noch aus.

Ankläger verstecken sich hinter Gutachtern

Gutachterlich geklärt wurde nach bisherigen Informationen, ob es sich bei den durch „Netzpolitik.org“ veröffentlichten Informationen um ein Staatsgeheimnis handelt. Dies wäre eine Voraussetzung, damit der Straftatbestand des Landesverrates erfüllt sein könnte. Es ist erlaubt, sich darüber zu wundern, dass externe Gutachter diese Frage klären. Die Einschätzung, ob ein Tatbestandsmerkmal erfüllt ist, gehört zu den ureigensten Aufgaben von Strafverfolgern. Wundern darf man sich erst recht, weil die Frage des Staatsgeheimnisses nicht die einzige Voraussetzung für einen Landesverrat ist, womöglich nicht einmal die wichtigste. Strafbar macht sich nur, wer in der Absicht handelt, eine fremde Macht zu begünstigen oder Deutschland zu benachteiligen. Soweit bekannt schweigen die Gutachten zu diesem Punkt – der eine Anklage unwahrscheinlich macht.

Es gibt weitere Merkwürdigkeiten. Als das Bundesjustizministerium am Freitag die Ermittlungen aus Karlsruhe erstmals öffentlich kommentierte und dabei klare Kritik am Generalbundesanwalt erkennen ließ, da verschwieg das Haus geflissentlich, dass es schon eine Weile über die Angelegenheit Bescheid wusste. Am 27. Mai sei der Brief mit der entsprechenden Ankündigung aus Karlsruhe eingegangen, heißt es nun in Berlin. Range behauptet sogar, bereits am 13. Mai informiert haben. Der Eindruck, den das Ministerium noch am Freitag zu vermitteln suchte, nämlich gerade erst von den Vorgängen erfahren zu haben und sofort richtig zu handeln, er ist inzwischen ins Wanken geraten. Wenn das Ministerium tatsächlich „empfohlen“ haben soll, von Ermittlungen Abstand zu nehmen, der Generalbundesanwalt aber unbeirrt seinen Weg verfolgt hat, dann ist die Kommunikation zwischen dem Minister und seinen Beamten zumindest überprüfungswürdig.

Die Kampfansage passt nicht ins Bild

Die Affäre um „Netzpolitik.org“ weitet sich zu einer handfesten Staatsaffäre aus. Es geht nicht mehr nur um die Pressefreiheit, sondern auch um die Glaubwürdigkeit der Bundesanwaltschaft, des Bundesjustizministeriums – und des Bundesamts für Verfassungsschutz samt dem ihm übergeordnetem Innenministerium. Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hatte die Anzeige erstattet, nicht ohne seinen Dienstherren darüber zu informieren. Die Schwere des Vorwurfes hat er dabei aber wohl nicht so deutlich gemacht.

Harald Range wird von allen, die ihn kennen, als höflicher und leiser Mensch beschrieben. Die Kampfansage gegen den Justizminister mag da nicht so recht ins Bild passen. Vielleicht, so eine Vermutung, hat sich da etwas aufgestaut. Immer wieder ist Range dafür kritisiert worden, Ermittlungen gegen die Geheimdienste NSA und BND nicht vorangetrieben zu haben. Und auch die Entscheidung, im Münchner NSU-Prozess die Hauptangeklagte Beate Zschäpe nicht wegen Beihilfe anzuklagen, sondern als Mittäterin, ist – zumindest zu Prozessbeginn – umstritten gewesen. Da kann sich also etwas zusammengebraut haben – und am Abend hat sich dann gezeigt, wer dabei (vorerst) am längeren Hebel sitzt: Der Minister.