Verfolgt eigentlich noch jemand außerhalb der Landespolitik die Affäre um den Inspekteur der Polizei? Man muss gleich mehrere Schauplätze im Blick behalten, um halbwegs auf dem Laufenden zu bleiben – und zudem Geduld aufbringen. Am Weitesten fortgeschritten ist die Aufarbeitung am Landgericht, wo sich der oberste Uniformierte wegen sexueller Nötigung einer jungen Kommissarin verantworten muss. Diese Woche werden die Plädoyers erwartet, nächste Woche das Urteil. Im Landtag arbeitet der Untersuchungsausschuss gründlich, aber auch gemächlich sein Programm ab; das kann dauern. Und das derzeit ruhende Disziplinarverfahren im Innenministerium wird erst wieder aufgenommen, wenn die Richter gesprochen haben. Das Ergebnis dürfte dann noch von Verwaltungsgerichten überprüft werden.
So gehen Woche um Woche, Monat um Monat ins Land – und das Interesse des Publikums erlahmt zwar, aber erlischt nicht. Vor allem jene Polizistinnen und Polizisten, die täglich mit den Bürgern zu tun haben, hören immer wieder die gleiche Frage: Was denn bloß los sei in ihrer Organisation, die doch für Ordnung sorgen solle, aber an deren Spitze es selbst nicht stimme. Um Antworten können sie sich nicht drücken, etwa den Verweis, dass man aus Einzelfällen nicht aufs Ganze schließen dürfe. Jene aber, die ungleich berufener wären, etwas zu sagen, halten sich vornehm zurück: vorweg der Ministerpräsident, der Innenminister, der CDU-Fraktionschef. Nur die Landespolizeipräsidentin wagte neulich einmal einen Versuch, den auf ihr lastenden Druck auf viele Schultern zu verteilen. Doch ihre Konferenzbotschaft vom Sturm, der vorübergehen werde, ging prompt nach hinten los.
Statt Moral zählt nur noch Macht
Warum aber schweigen Kretschmann, Strobl, Hagel & Co? Formal können sie ihr Zögern schön begründen: mit der Unschuldsvermutung, mit den laufenden Verfahren, mit dem Respekt vor dem Parlament. Doch es hat auch andere Gründe, dass die Polizei noch immer sehnlich auf ein klares Wort von oben warten muss. Machtkalkül und Parteitaktik. Winfried Kretschmann agiert wie die drei Affen in einer Person – nichts hören, nichts sehen, nichts sagen –, weil er seinen pflegeleichten CDU-Stellvertreter nicht auf den letzten Metern seiner Amtszeit verlieren will. Vergessen scheint, dass er Regieren einmal zur Stilfrage ausrief, statt Moral zählt nur noch Macht. Thomas Strobl hat seine Autorität verloren, seit er selbst beim Regelverstoß ertappt wurde. Fast noch schlimmer als das Durchstechen eines Schreibens aus einem Disziplinarverfahren war sein Umgang mit der ihm auferlegten Geldbuße. Unwidersprochen durfte er so tun, als handele es sich bei den 15 000 Euro um eine noble Spende. Die CDU-Fraktion ließ ihn zwar kurz – und durchaus demütigend – zittern, stärkte ihm dann aber doch den Rücken. Für ihren aufstrebenden Chef Manuel Hagel wäre Strobls Sturz schlicht zu früh gekommen. Der offenbar von der Landtagsriege erzwungene Austausch von Strobls Staatssekretär macht nichts besser.
So hat jeder seinen persönlichen Grund, wenig oder nichts zu sagen. Doch das Schweigen wirkt wie Gift für eine Polizei, in der es das offene Wort immer noch schwer hat. Warum war es nur ein Tuschelthema, was der Inspekteur nebenbei so trieb? Warum wurden gegen die eigene Überzeugung Bestnoten vergeben, nur weil das angeblich von oben so erwartet wurde? Warum fanden die wenigen mahnenden Stimmen kein Gehör? Für eine neue, offene Kommunikationskultur bräuchte es dringend ein Signal von ganz oben. Kretschmann, Strobl & Co lassen es schmerzlich vermissen.