Affäre um Polizeiinspekteur Brisanter Sinneswandel des Innenministeriums

Stehen für saubere Aufarbeitung: Innenminister Thomas Strobl (CDU), Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Wie wurde in der Affäre um den Polizeiinspekteur ein Anwaltsschreiben publik? Erst stellte sich das Innenressort von Thomas Strobl ahnungslos, nun will es den Brief selbst herausgegeben haben – ein brisanter Sinneswandel.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Die Bombe platzte vier Wochen vor Weihnachten. Gegen den ranghöchsten Polizeibeamten im Südwesten, wurde da bekannt, bestehe ein schwerer Verdacht. Ausgerechnet der für eine Wertekampagne zuständige Inspekteur der Polizei, Andreas Renner (48), solle eine junge Hauptkommissarin bei einem Kneipenabend bedrängt und ihr später Karrierevorteile gegen Sex versprochen haben. Das Innenministerium reagierte rasch: es verbot Renner, weiter die Dienstgeschäfte zu führen, und leitete ein Disziplinarverfahren ein. Wenig später übernahm die Staatsanwaltschaft den Fall.

 

Fünf Monate sind seither vergangen, doch die Mühlen der Justiz mahlen immer noch. Die Ermittlungen dauerten an, lautet die Standardauskunft, ein Abschluss sei nicht absehbar. Dabei ist der Sachverhalt überschaubar und zudem per Aufzeichnung dokumentiert. Schon wird in der Polizei spekuliert, die Vorwürfe seien womöglich nicht so substanziell wie gedacht. Selbst eine Rückkehr des Inspekteurs auf seinen Posten – den er nach wie vor innehat – gilt nicht mehr als völlig ausgeschlossen.

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Zwei Neuigkeiten aber gibt es von der Staatsanwaltschaft. Auch gegen die Belastungszeugin, wird nun offiziell bestätigt, laufen Ermittlungen – wegen des „Verdachts der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“. Der Grund: sie hatte das fragliche Videotelefonat mit Renner ohne dessen Wissen teilweise mitgeschnitten. Ein weiteres Verfahren gegen unbekannt wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses sei „zwischenzeitlich wegen eines Verfahrenshindernisses … eingestellt“ worden. Das zuständige Innenministerium, so die Justizsprecherin, habe „die zur Strafverfolgung erforderliche Ermächtigung … nicht erteilt“.

Staatsanwälte werden von der Politik gestoppt – das gilt in Baden-Württemberg spätestens seit 25 Jahren als hochbrisant. Damals hatte der Leiter der Steuerabteilung im Finanzministerium am Stammtisch in der Stuttgarter Gaststätte „Schellenturm“ über einen prominenten Steuerfall geplaudert. Die Justiz wollte gegen ihn wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses ermitteln, aber sein Chef und Freund Gerhard Mayer-Vorfelder (CDU) verweigerte die Erlaubnis. Es gab einen Skandal, der „MV“ an den Rand des Rücktritts brachte, nach einem Machtwort von Ministerpräsident Erwin Teufel musste er doch Ermittlungen zulassen.

Eine Einladung zum Mauscheln?

Im Fall des Polizeiinspekteurs ging es um ein Schreiben, das einer von dessen Anwälten kurz vor Weihnachten an das Innenministerium gefaxt hatte. Damit wandte er sich „mit allem Nachdruck“ gegen das Disziplinarverfahren und den Vorwurf gravierender Dienstpflichtverletzungen. Zugleich legte er Widerspruch gegen die Zwangsbeurlaubung seines Mandanten ein. Auf der zweiten Seite folgte ein Angebot, das im Ministerium erhebliche Irritationen auslöste: Renner stehe gerne für ein persönliches Gespräch zur Verfügung, ließ der Anwalt ausrichten, „was vorliegend der Sache eher dienlich sein dürfte und im allgemeinen Interesse zielführender zu sein versprechen vermag, als eine unvermittelte Rechtswegbeschreitung“. Letztere stelle man zunächst zurück, zumal der Mandant „größtes Vertrauen in das Ministerium“ und dessen Objektivität und Neutralität bei der Aufklärung habe. Die Ministerialen lasen das offenbar als Einladung zum Mauscheln – für sie völlig undenkbar.

Am 22. Dezember spätabends ging das Schreiben samt Vollmacht im Ministerium ein. Ein Arbeitstag folgte noch, dann war Weihnachten. Bereits am 27. Dezember berichteten die Stuttgarter Nachrichten über den Brief, den sie fast noch kritischer als das Strobl-Ressort interpretierten: „Redet mit mir, einigt euch mit mir – oder es gibt eine Schlammschlacht“, laute für sie dessen Botschaft. Das Strobl-Ressort äußere sich nicht dazu, hieß es, „mit Verweis auf das laufende Verfahren und den Datenschutz“.

Warum hatte das Innenministerium nicht die Justiz eingeschaltet?

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart war über die Indiskretion offenbar ziemlich verärgert. Anfang 2022 berichtete sie unserer Zeitung, man habe Ermittlungen wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses eingeleitet. Da weder Anzeige noch Strafantrag vorlägen, sei dies „von Amts wegen“ erfolgt. Warum aber hatte das Innenministerium nicht die Justiz eingeschaltet? Erst im Sommer war das Ressort in den Verdacht geraten, eine brisante Information an die Medien lanciert zu haben. Nur von dort, hatte der frühere Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) recherchiert, könne die Information über seinen Tempoverstoß gekommen sein, der ihm bundesweit Häme und Schadenfreude eintrug. Beweisen ließ sich das letztlich indes nicht.

In einer Auskunft an unsere Zeitung erweckte das Innenressort den Eindruck, man sei auch nicht glücklich über das Öffentlichwerden des Briefes, könne derlei aber leider kaum verhindern; die Suche nach der undichten Stelle sei in der Regel erfolglos. Offiziell teilte die Pressestelle mit, in dem Schreiben gehe es um das derzeit ruhende Disziplinarverfahren. Ein Satz sollte wohl Konsequenzen suggerieren: „Die internen Abläufe und Prozesse werden – gerade vor dem Hintergrund eines solchen Vorgangs – intern permanent kritisch hinterfragt und überprüft.“

Ministerium klingt heute plötzlich ganz anders

Nach der verweigerten Erlaubnis zum Ermitteln befragt, klingt das Ministerium heute plötzlich ganz anders. Im Zusammenhang mit dem Fall des Inspekteurs, so eine Sprecherin, lege man „großen Wert auf völlige öffentliche Transparenz“. Das Bekanntwerden des Schriftstücks sei „mit diesem öffentlichen Transparenzinteresse vereinbar“. Begründung: Das Schreiben habe ein „fragwürdiges Gesprächsangebot“ enthalten. Um die „Integrität des Verfahrens“ zu wahren, habe „nicht der Hauch eines Anscheins“ von Mauschelei entstehen dürfen. Der zentrale Satz: „Deshalb hat das Innenministerium diesen Vorgang in Abstimmung mit der Hausspitze gegenüber einem einzelnen Journalisten öffentlich gemacht.“ Es handele sich mithin nicht um Dienstgeheimnisse, die es zu schützen gelte – was Voraussetzung für Ermittlungen wäre.

Die gesamte „Hausspitze“, also Minister Strobl und seine Staatssekretäre Wilfried Klenk und Julian Würtenberger (alle CDU), segneten die Herausgabe ab – warum standen sie dann nicht früher, am besten von Anfang an dazu? Warum wurden sogar aktiv Nebelkerzen geworfen, um die Herkunft des Schreibens zu verschleiern? War der Pressestelle bewusst, dass sie die Medien und damit die Öffentlichkeit gezielt in die Irre führte? Welche Glaubwürdigkeit haben deren Auskünfte künftig noch? Mit Antworten auf diese Fragen tut sich das Ressort schwer.

Anwälte wiesen Vorwürfe zurück

Die Anwälte des Inspekteurs hatten schon früh bekräftigt, sie hätten das Schreiben nicht an Medien gegeben. Die Interpretation, es handele sich um einen „Erpressungsversuch“, wiesen sie als „falsch und bösartig“ zurück. Zum Vorgehen des Ministeriums befragt, richteten sie aus, Renner werde sich zu dem gegen ihn laufenden Verfahren weiterhin nicht äußern. Er sehe sich „der Integrität seines Amtes und der gesamten Polizei nach wie vor vorrangig verpflichtet“. Einer zügigen Aufklärung habe auch das Gesprächsangebot gedient, auf das bis heute übrigens keine Reaktion seines Dienstherrn erfolgt sei. „Völlig aus der Luft gegriffen“ sei die Unterstellung, er habe ein fragwürdiges Vorgehen vorgeschlagen. Ob die Weitergabe des Briefes rechtens sei, wolle er nicht kommentieren.

Für den zunächst geschützten Steuerchef von Mayer-Vorfelder gingen die Ermittlungen einst glimpflich aus: er zahlte 13 000 D-Mark für die Einstellung des Verfahrens.

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