Der Südwestrundfunk hat schon vorab auf eine Grillparty zurückgeblickt. Jetzt geht es um die Glaubwürdigkeit der Rundfunkanstalt: Die Gewerkschaft Verdi beklagt den „Verfall guter journalistischer Sitten“ – und benennt weitere Beispiele.

Stuttgart - Wenn sich eines sagen lässt, dann das: die Lust auf Grillpartys ist dem Südwestrundfunk (SWR) gründlich vergangen. Sechs Stunden lang tobte am 1. Mai die Schlacht am Holzkohleofen. Die 14. Grillparty mit Küchenmeister Johann Lafer und allerlei Prominenten wie Jürgen Drews, Guido Cantz und Maite Kelly war zugleich die erste, die zeitgleich im Fernsehen, Radio und – via Livestream – im Internet über PC, Tablet oder am Smartphone zu erleben war.

 

Moderiert wurde die Sache von Lena Ganschow und Jens Hübschen. Tagelang rührte die Popwelle SWR 3 die Werbetrommel. Keine Frage: der Spätzlesender war mächtig stolz auf seine Kochshow – live, in Stereo und im Breitband auf allen Kanälen.

So stolz, dass er seinen Hörern schon vorher erzählte, wie es hinterher gewesen war. In SWR-Info, dem einzigen Medienmagazin, das die zweitgrößte Anstalt bisher zustande gebracht hat, plauderte ein Radiomoderator mit der Fernsehmoderatorin Ganschow über das große Brutzeln noch bevor es begonnen hatte. „Abertausende“ hätten an dem Event teilgenommen, war da schon zu erfahren.

„Der Spargel-Gulasch war lecker“

Ganschow, abgebrüht durch Sendungen wie „Kaffee oder Tee“, plapperte munter drauf los. Puh, sechs Stunden durch zu moderieren, das sei „eine ganz schöne Nummer“, auch das Wetter sei zu beachten. Es sei aber alles gut gegangen. „Es war ein neuer, interessanter Schritt für mich“, zog Ganschow ein persönliches Fazit. Und sie sagte weiter: „Mit großartigen Erfahrungen gehe ich da raus.“ Nach soviel „Trubel“ ziehe sie sich erst einmal „in die Natur zurück“. Aber das „Spargel-Gulasch“, das werde sie bestimmt mal nachgrillen, versprach die Moderatorin noch. „Das Spargel-Gulasch, das kann ich bestätigen, das war lecker“, attestierte der Radiokollege beflissen.

Dumm nur, dass zum Zeitpunkt des Interviews weder das Spargel-Gulasch gekocht noch ein Grill angezündet war. Das Gespräch war vorab aufgezeichnet worden und nur durch Zufall als Podcast im Internet gelandet, wo es dann auch zu hören war.

Die Blamage für den SWR war perfekt. Im Internet ergießt sich seither Häme über den Sender. Das sei „ein dreister Fall“, in jeder Hinsicht „empörend“. Der SWR müsse sich fragen lassen, „wo seine journalistische Qualitätssicherung versagt“ habe, schreibt ein Nutzer. Mit einem Mal hat der Sender ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommen. SWR-Info entschuldigte sich umgehend für das „journalistische No-Go“. Der Hörfunkchefredakteur Arthur Landwehr mahnte: „So etwas darf nicht passieren!“

Verdi listet eine Reihe weiterer problematischer Vorgänge auf

Wie es scheint, ist der Vorgang kein Einzelfall. Der Betriebsverband der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi listet eine ganze Reihe ähnlicher Vorgänge auf, in denen er ein „Symptom für einen viel tiefer gehenden Verfall guter journalistischer Sitten“ erkennt.

So würden SWR-Hörfunkwellen mit vorab bestellten Hörer-O-Tönen Eigenwerbung betreiben, externe Fachleute würden als „SWR-Experten“ tituliert, SWR-Korrespondenten lieferten „Live-Reportagen“, bevor sie überhaupt am Ort des Geschehens seien und bei ihren Abmoderationen würden sie „aus Lissabon“ sagen, obwohl sie in Madrid säßen. Außerdem gebe es ständig Interviews im Format „Drei Fragen – Drei Antworten“, bei denen die Antworten aufgezeichnet und die Fragen vorgefertigt würden.

„Kurz: An vielen Stellen des Hauses wurde über Jahre eine Kultur des ‚Es kommt nicht so drauf an’ gepflegt“, klagt Verdi. Altgediente SWR-Mitarbeiter sehen das ähnlich: „Die Leute sind verzweifelt. Das muss doch Folgen haben“, sagt einer.

SWR-Intendant Boudgoust: Journalistische Sitten in Ordnung

Die Krise hat die Führungsebene erreicht. „Ganz offensichtlich habe ich nicht genug getan, denn es ist ja in meinem Verantwortungsbereich ein schwerer Verstoß gegen unsere beruflichen Grundregeln erfolgt“, gesteht Chefredakteur Landwehr ein.

Der SWR-Intendant Peter Boudgoust spricht zwar von nur einem „konkreten Fall“, hat aber bereits bei der Programmdirektion eine Taskforce in Auftrag gegeben, die journalistische Regeln und Standards, „im Speziellen zum Umgang mit aufgezeichneten Interviews“ untersuchen soll. Einen Verfall der journalistischen Sitten will der Chef jedoch nicht erkennen. Boudgoust: „Der innere Kompass des SWR ist weder kaputt noch beschädigt.“